Heft 
(2016) 101
Seite
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»Man kann sich kaum größere Gegensätze denken« Nürnberger 27 ­Dieser wunderliche Heilige nimmt sich erbarmungsvoll des armen Pavel an, und es entspinnt sich zwischen beiden ein Verhältnis der merkwür­digsten Art, welches auf die Charakterentwicklung Pavels vom größten Einfluß ist. Das sind die Hauptelemente, aus welchen die Fäden der Handlung ge­schürzt werden; daneben aber fehlt es nicht an einer Reihe anderer Gestal­ten, die bis ins kleinste hinein mit höchster Lebenswahrheit gezeichnet sind. Aus der großen Reihe bedeutender Scenen, die oft die höchste dra­matische Spannung bieten, heben wir den Vorgang mit der Dampf-Dresch­maschine hervor, bei welcher der protzige Bürgermeisterssohn Peter durch seinen Hochmuth an den Rand des Verderbens kommt und nur durch Pavels Geistesgegenwart gerettet wird. Dann die Katastrophe des alten Bürgermeisters, dem Pavel einen übrigens unschuldigen Trank von der widrigen Curpfuscherin bringt, dann aber wie er von der Bornirtheit der Bauern als Giftmischer angeklagt wird, Vinsla zuliebe jede Aussage gegen ihre Mutter unterdrückt, obwohl er sich dadurch der Brutalität der Bauern preisgibt. Vor allem aber jene großartige Scene im Wirthshaus, wo Pavel sein Herz ausschüttet, den Bauern alle ihre gegen ihn begangene Niedertracht vorhält und in einer schier heroischen Prügelei sich siegreich behauptet und für immer in Respect setzt. Und dann endlich die Schluß­scene, wo die Mutter aus dem Zuchthaus zurückkehrt und voll Wonne sich an dem wohlgerathenen Sohn weidet, aber in ihrer Verzagtheit ihn verlas­sen will, ihm selbst dann aber das Wesen der treuen Dulderin wie durch Offenbarung aufgeht, so daß er sie zum Bleiben bewegt, indem er sagt: »Was habt ihr eben gesagt; die Aergsten werden oft die besten, wenn sie Einen brauchen. Das müßte doch curios zugehn, wenn man zwei Men­schen wie wir sind, nicht manchmal brauchen sollte. Bleib bei mir, liebe Mutter.« Wahrlich das ist ein Buch von so hoher sittlicher Macht, so lebensvoller Wahrheit, so reiner Schönheit, wie wir wenige in unserer neueren Litera­tur besitzen. 2. Theodor Fontane:» Irrungen, Wirrungen.« Man kann sich kaum größere Gegensätze denken, als zwischen dem eben besprochenen Buche und der neuesten Arbeit Fontanes hervortreten. Und doch haben wir es auch hier mit der Schöpfung eines echten Dichters zu thun, der Alles, was er berührt mit seinem Geiste verklärt und mit Poesie umwebt. Aber während wir dort einen Ausnahmsfall psychologischer Entwicklung verfolgten, handelt es sich hier um etwas Gewöhnliches und Alltägliches, das nur deshalb ein Bürgerrecht im Reich der Poesie erhält,