26 Fontane Blätter 101 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes von den Menschen mit Füßen getretenen und verachteten, von der Gemeinde dem moralischen und physischen Verderben ausgelieferten Knaben, der trotz alledem nicht zu Grunde geht, sondern durch die unerschütterliche Kraft seiner guten Natur sich zu einem tüchtigen Menschen emporarbeitet. Und was hat der Aermste alles zu überwinden! Dem Abschaum und Auswurf des Dorfes, dem spitzbübischen Hirten Virgel und seiner unheimlichen curpfuschenden Frau gibt man ihn in Kost und Pflege, und es ist ein Wunder seiner kräftigen Natur, daß er dort nicht gleich durch Verwahrlosung zu Grunde geht. Noch schwerere Einbuße an den besten Empfindungen seiner Seele erleidet er durch Vinsla, die würdige Tochter jenes edlen Paares, die ein schnödes Spiel mit seiner Zuneigung treibt und ihm für immer die Liebe vergällt. Und wie sie sich dann dem Haupthahn des Dorfes, dem rohen, protzigen Peter hingibt, entzündet sie in Pavels Seele Höllenqualen, die dann nachher in einer gewaltigen Katastrophe zum Ausbruch kommen. Und in all diesen Kämpfen und Nöthen nirgends in seiner Umgebung ein Menschenherz, daß sich des armen, störrischen, in sich verschüchterten Buben annähme. Selbst die gutherzige Baronin vermag in ihrer Beschränktheit nicht zu erkennen, was in dem armen einsamen Buben gährt und ringt. Aber zwei Helfer hat er doch in seiner dunklen Qual. Der erste ist seine über Alles geliebte Schwester, zu der es ihn wie zu einer Heiligen, einem Schutzengel immerfort mit heißer Sehnsucht zieht. Zum ergreifendsten gehören wohl die Scenen, wie er sie zum ersten Mal im Kloster wieder sieht und durch seinen leidenschaftlichen Jammer ihr Herz so erschüttert, daß sie auf dem Punkte steht, mit ihm zu entfliehen, und dann die letzte Scene wie er die früh Verklärte, die sich in dem heißen Drange, für die Seelen ihrer Eltern sich zu opfern, aufgerieben hat, auf dem Todbett wiederfindet. Wie wenig tröstet ihn die Versicherung der frommen Klosterfrauen, daß sie nun eine Heilige im Himmel sei! Sein zweiter Schutzgeist ist der Herr Lehrer. Dieser arme Schulmeister, der von idealem Drang, aber auch von dem Durst, sich auszuzeichnen getrieben, nach einer höheren wissenschaftlichen Laufbahn gestrebt hat, dabei aber durch die übermäßige Anstrengung für immer in seiner physischen und geistigen Existenz gebrochen ist, gehört zu den vorzüglichsten Gestalten der Erzählung. Zur Verschüchterung seines Wesens hat es nicht wenig beigetragen, daß er als Scheintodter drei Tage im Sarge gelegen und dadurch den Bauern unheimlich geworden und in den Geruch eines Hexenmeisters gekommen ist. Anstatt diesem Wahn energisch entgegenzutreten, hat er in einer gewissen Eitelkeit ihn genährt und sich dadurch in eine schiefe Stellung gebracht, welche er dann beim besten Willen nicht mehr ändern kann. So schleppt auch er eine schwere moralische Last durchs Leben, in welcher der aus seinen früheren Studien gerettete, jetzt nur in ängstlicher Heimlichkeit gelesene Lucrez seinen einzigen Trost bildet.
Heft
(2016) 101
Seite
26
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