Heft 
(2016) 101
Seite
25
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»Man kann sich kaum größere Gegensätze denken« Nürnberger 25 uns die Verfasserin­mit hoher künstlerischer Meisterschaft eine Reihe von Gestalten vor, die sich wie scharf ausgeprägte Typen plastisch greifbar vor uns hinstellen. Was ist ein Gemeindekind? Natürlich ein Kind, das, weil es die Eltern verloren, der Gemeinde zur Pflege und Erziehung anheimfällt, in vorlie­gendem Fall aber von dieser seiner Pflegerin die roheste Verwahrlosung erfährt. Die Verfasserin schildert das Landvolk zwar nicht in jener äußers­ten viehischen Brutalität, in welcher Zola kürzlich in einem seiner garstigs­ten und grobschlächtigsten Romane den französischen Bauer gezeichnet hat, aber sie zeigt uns doch fast ausnahmslos die Bewohner des ganzen Dorfes, in welchem der arme Pavel Holub, der Held der Geschichte, auf­wächst, Alt und Jung, Arm und Reich als eine Rotte habsüchtiger, boshaf­ter Subjecte, ohne einen Funken von Menschlichkeit. Der arme Pavel hat allerdings von vornherein mit dem Fluch einer bösen Abstammung zu kämpfen. Sein Vater, der Ziegelschläger Martin Holub, ein brutaler Trun­kenbold, der sein armes Weib und die beiden Kinder aufs äußerste miß­handelt hat, erschlug aus Rache den sich ihm widersetzenden Pfarrer und büßte die Blutthat am Galgen. Die Mutter, die sich durch ein Wort vor Ge­richt hätte reinigen können, läßt in stumpfer, durch Angst vor dem bösen Mann, gesteigerter Resignation, in der sich vielleicht etwas Slawisches an­kündigt, Alles über sich ergehen und wird zu zehnjährigem Zuchthaus verurtheilt. Das sind die Prämissen, aus denen sich die Geschichte aufbaut. Pavel und seine jüngere Schwester Milada fallen nun der Gemeinde zur Last, die sich auf alle Weise der unwillkommenen Pflicht zu entziehen sucht. Sie bringt es denn auch dahin, daß die Gutsherrin, eine wunderliche, gutmüt­hige, aber beschränkte alte Dame, sich wenigstens des Mädchens an­nimmt, daß halb ihr Liebling wird, und durch sie einen Platz in dem Klos­ter der benachbarten Stadt erhält, wo sie unter dem wohlmeinenden, aber bornirten Fanatismus der Klosterfrauen zur Braut des Himmels erzogen, aber für die Erde zu Grunde gerichtet wird. Die Erzählung folgt nun hauptsächlich den Schicksalen des Gemeinde­kindes und bietet uns als neue Variante des Spruches:»Sein Schicksal schafft sich selbst der Mann,« eine Entwicklungsgeschichte, die durch die Feinheit psychologischer Schilderung vom höchsten Reiz ist. Die neueste Kunst, erzählende, wie bildende, gefällt sich mit Vorliebe darin, das phy­sisch und moralisch Häßliche uns auf dem Präsentirteller darzubieten, und eben Zola ist es bekanntlich, der mit einer förmlichen gourmandise in der Schilderung des Abscheulichen schwelgt. Ganz anders unsere Dichterin. Nicht unähnlich de[r] Tendenz eines Bret Harte, der in seinen californi­schen Geschichten uns selbst im Herzen der Verworfensten noch einen Funken des Göttlichen, der Liebe und des Mitleids erkennen läßt, zeichnet sie uns in dem armen Pavel einen vom Schicksal aufs grausamste verfolgten,­