Heft 
(2016) 101
Seite
78
Einzelbild herunterladen

78 Fontane Blätter 101 Vermischtes Theodor Fontanes Kunst des Toasts Ernst Osterkamp Die Situation ist da: 1 Die Suppe wird abgetragen, jemand schlägt mit dem kleinen Löffel ans Weinglas, zaghaft erst, dann ein wenig bestimmter, die Gespräche verstummen, nur am Ende der Tafel plaudert ein junges Paar weltverloren fort, bis ein entrüstetes Zischen es in die Wirklichkeit zurück­holt und errötend verstummen lässt, die Jubilarin blickt erwartungsvoll auf, skeptisch auch und ein wenig peinlich berührt, denn sie ist es ja sonst nicht gewohnt, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen und sich ge­würdigt zu finden. Einer der Gäste erhebt sich; in die Gesichter der ande­ren tritt ein aus Entspannung und Enttäuschung gemischter Ausdruck: »Ach, der! Dann wird schon nichts schief gehen.«»Achder« aber lässt sei­nen Blick tapfer über die Runde schweifen, ihn dann kurz auf der Jubilarin verharren und senkt ihn schließlich auf den Zettel, der sich bisher in seinen schweißnassen Händen verborgen hat; plötzlich wird ihm bewusst, wie ungünstig die Lichtverhältnisse im Raum sind. Also blickt er rasch wieder empor und improvisiert seinen Toast und was immer er nun sagt, die zentrale Botschaft lautet:»Dies muss jetzt sein! Aber fürchtet euch nicht, es geht bald vorüber!« Als er, mit leichter Verbeugung zur Jubilarin, nach dem abschließenden Lebehoch verstummt, dankt ihm so einhelliger wie kurzer Beifall. Es folgt der Hauptgang. Der Jubilarin aber wird nun be­wusst, worin ihre Skepsis vor dem Toast gründete: nicht in einem Zweifel an den rhetorischen Fähigkeiten von»Achdem«, sondern in der Ahnung, dass die Aufmerksamkeit, die sich während des Redeakts auf ihr sammelt, nach dessen Ende rasch wieder von ihr abgezogen wird. Nichts kann trau­riger sein als ein verklungenes Lebehoch. Jeder kennt diese Situation, und weil jeder sie kennt, drängen sich auch geübte Redner nicht danach, bei Tische Toasts auf anwesende Personen zu sprechen und sie hoch leben zu lassen; denjenigen aber, die sich danach drängen, vertraut man diese Aufgabe nicht gern an, denn bei ihnen dro­hen jene Peinlichkeiten, die aus der Distanzlosigkeit erwachsen. Natürlich können wir alle uns an gelungene Beispiele für kurze Ansprachen zu hren