Heft 
(2016) 101
Seite
79
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Theodor Fontanes Kunst des Toasts  Osterkamp 79 eines Gefeierten erinnern, die in die Aufforderung an die Anwesenden münden, auf dessen Wohl und Gesundheit zu trinken. Aber diese Beispiele zeichnen sich dadurch aus, dass es in diesen Fällen gelungen ist, menschli­che Wärme und Distanzbewusstsein rhetorisch zum Ausgleich zu bringen, was schon deshalb sehr schwer bleibt, weil die rhetorische Figur, die dem Bewusstsein der Distanz zu einer gegebenen Situation zum Ausdruck ver­hilft, die Ironie ist. Man wird schwerlich gelungene Toasts hören, die ganz ohne Ironie auskommen. Denn es fällt uns im Bewusstsein unserer ge­schichtlichen Erfahrungen und der Instabilität aller sozialen Rollen über­aus schwer, rhetorisch auch nur für wenige Minuten einen einzigen Men­schen positiv aus einer Gemeinschaft hervorzuheben, die immer vom Bewusstsein seiner Schwächen und Fehler durchdrungen bleibt, und es fällt uns ebenso schwer, rhetorisch eine situative Harmonie zu beschwö­ren, von der wir wissen, dass sie nicht auf Dauer gestellt werden kann; so flüchten wir uns denn rhetorisch in die Ironie. Wie fremd uns die Gattung der kurzen Trinkrede auf einen zu Ehren­den geworden ist, lässt sich daran erkennen, dass wir keinen Begriff mehr für sie besitzen; niemand spricht mehr, wie es das 19. und das frühe 20. Jahrhundert ganz selbstverständlich taten, vom Toast(es sei denn iro­nisch!). Das gängige Substitut für den verlorenen Gattungsbegriff lautet »ein paar Worte«:»Jemand muss jetzt ein paar Worte sagen« eine Wen­dung, die in ihrer Akzentuierung von Formlosigkeit die Verabschiedung des rhetorischen Denkens voraussetzt. Durch Formlosigkeit freilich lässt sich Harmonie nur schwer herstellen. Es war aber nicht die geringste Auf­gabe und Leistung des Toasts, situationsbezogen soziale Harmonie zu eta­blieren. Damit dies gelingen konnte, bedurfte der Redner eines Spektrums von Fertigkeiten: Kenntnis der rhetorischen Konventionen und Akzeptanz sozialer Rituale, Situationssensibilität, Formverständnis und einer gewis­sen Noblesse, die ihm mit der Situation zu spielen erlaubte; schon diese Voraussetzungen zeigen, dass der Toast, wie fast alle kleinen Formen, eine komplexe Gattung ist. Theodor Fontane verfügte wie kaum ein anderer über die genannten Fähigkeiten: Vertrautheit mit Konventionen und sozia­len Ritualen, mit Empathie gepaarte Sensibilität für soziale Anlässe, Form­bewusstsein und jene Noblesse, die ihn vor jeder situationsinadäquaten Form dogmatischer Enge bewahrte. All dies hat ihn zum Virtuosen des Toasts werden lassen zu dem größten, den die deutsche Literatur besitzt. Aber auch dies ist ein Urteil, das sich nicht ohne Ironie formulieren lässt. Man darf hierbei Fontane selbst folgen, der 1856 in einem Toast auf Franz Kugler von sich sagte:»Ich bin ein toastender Fridolin«. 2 Die Ironie ergibt sich hier einerseits aus dem komischen Understatement, zum anderen aber aus dem intertextuellen Bezug zu Friedrich Schillers Ballade Der Gang nach dem Eisenhammer:»Ein frommer Knecht war Fridolin«. 3 Theodor Fontane war, er hat es gewusst, der frommste Knecht in einer unablässig