Heft 
(2018) 106
Seite
70
Einzelbild herunterladen

70 Fontane Blätter 106 Freie Formen »das Poetische hat immer recht; es wächst weit über das Historische hin­aus« 5 einen subtilen chronologischen Hinweis ins Spiel bringen kann. Und was könnte es Poetischeres geben als den Mond? Denn mit dem Licht einer am Abend des 3. Oktobers über den Parkbäumen stehenden Mondsichel(41, 52) wirft der Text auch ein Licht in die Grauzone der chro­nologischen Unsicherheiten und Widersprüche hinein und gibt einen fei­nen Hinweis auf ein ganz konkretes Datum. Einen Hinweis, der zwar ganz für sich und gegen alle anderen steht, doch gerade, weil er so gut»ver­steckt« ist, ja geradezu absichtslos daherzukommen scheint, eine für ­Fontanes Sprachkunstwerke spezifische Signifikanz erhält. Der halbe Mond nämlich, der vor Mitternacht zu sehen ist, ist immer ein zunehmen­der Mond(nach Mitternacht ein abnehmender). Am 3. Oktober 1895 war Vollmond, 1896 Neumond. Am 3. Oktober 1897 allerdings war am Abend die Sichel des zunehmenden Mondes zu sehen. Folgen wir also dem Mond, so setzt die Romanhandlung des Stechlin am 3. Oktober 1897 ein und endet am Tag vor dem Einzug des jungen Paares in Stechlin mit dem denkwürdi­gen Brief Melusines, der am 20. September 1898 bei Lorenzen eintrifft und diesen an den»in den Weihnachtstagen geschlossenen« Pakt erinnert:»es ist nicht nötig, daß die Stechline weiterleben, aber es lebe der Stechlin.« (461, 462) Am 20. September 1898 ist Theodor Fontane gestorben.