Heft 
(2018) 106
Seite
72
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72 Fontane Blätter 106 Freie Formen Ein sanft bewegtes Meer aus Papieren und Zeichen. Heike Gfrereis, Kuratorin der Leitausstellung fontane.200/Autor, im Interview mit Peer Trilcke Am 30. März 2019 eröffnet im Museum Neuruppin die Leitausstellung zum Fontane-Jahr fontane200. Kuratiert wird die Ausstellung von Heike Gfre­reis, Honorarprofessorin an der Universität Stuttgart und seit 2001 Leiterin der Museumsabteilung im Deutschen Literaturarchiv Marbach. Für die Fontane Blätter hat Peer Trilcke mit ihr ein schriftliches Interview geführt: über die Arbeit an der Ausstellung, über Fontanes Punkte und Linien, über Sinn und Sinnlichkeit der Literatur und über den Roman als Gedicht. Peer Trilcke: Du arbeitest derzeit intensiv mit Fontane-Objekten, mit Werk­manuskripten, Lebenszeugnissen, mit Zetteln und Skizzen und auch mit den Notizbüchern, die seit 2011 an der Theodor Fontane-Arbeitsstelle un­ter der Leitung von Gabriele Radecke ediert werden und die eine besonde­re Rolle in der Neuruppiner Ausstellung spielen werden. Welches Objekt hat Dich zuletzt verwundert oder auch irritiert? Heike Gfrereis: Kein einzelnes Objekt, aber eine optische Auffälligkeit in Fontanes Notizbüchern und Materialsammlungen: seine Vorliebe für Lini­en und Punkte. Meist sind diese Zeichnungen in einen erklärenden Text eingeordnet oder sogar detailliert beschriftet und offenbar Vermessungen einer realen, manchmal auch erst zu erfindenden Welt, Pläne nach der Na­tur oder für die Literatur. Daran verblüfft mich zum einen, dass wir, wenn wir es nicht wüssten, an diesen Zeichnungen keinen Unterschied zwischen Fakten und Fiktio­nen, Reproduktion und Produktion feststellen können. Der Garten aus Ir­rungen, Wirrungen unterscheidet sich auf den ersten Blick nicht vom Mar­kusplatz in Venedig. 1 Wir sehen einem Bild nicht an, ob es die Welt, die es abzubilden vorgibt, nicht in Wahrheit erst erfindet. Das können wir offen­bar nur wissen, aber nicht sehen. Zum anderen irritieren mich diese Zeichnungen, weil sie ab und zu aus dem Text und damit aus der Zeit und dem Feld von Abbilden und Erfinden fallen. Ein paar flüchtig gesetzte Punkte, durch drei oder vier Linien ver-