Heft 
(2018) 106
Seite
98
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98 Fontane Blätter 106 Labor Fontane im digitalen Labor. Zur Einführung Peer Trilcke Dass Literatur dazu da ist, gelesen zu werden, und zwar möglichst im Zu­stand konzentrierter, imaginationsfreudiger Aufmerksamkeit, versteht sich von selbst, darin liegt ihr im besten Fall die Zeiten überdauernder ästhe­tischer Wert, daraus schöpfen Leserinnen und Leser ihr Vergnügen, ihre Anregungen zum Nachdenken über die Welt, über das Leben, über sich selbst. Die Literaturwissenschaft, die Philologie, hat das literarische Werk gleichwohl immer schon auch anders gelesen, manchmal sogar überhaupt nicht gelesen. Dass dies ein nur auf den ersten Blick skandalöser, auf den zweiten Blick hingegen selbstverständlicher Sachverhalt ist, darauf hat Carlos Spoerhase vor Kurzem pointiert hingewiesen. 1 Denn anders als der ›normale‹ Romanleser liest die Literaturwissenschaftlerin schon dann, wenn sie sich, ihrer Forschungsfrage folgend, eines hin- und herblättern­den, eines überfliegenden, eines auf relevante Textstellen fokussierten ­Lektüremodus bedient. Und ins Nicht-Lesen kippt die literaturwissen­schaftliche Umgangsweise mit Texten zum Beispiel regelmäßig dort, wo editionsphilologisch gearbeitet wird: Wenn ein Wort Buchstabe für Buch­stabe entziffert werden muss, wird strenggenommen kein Text mehr gele­sen; und beim Erstellen von Registern wird das literarische Werk keines­wegs als ästhetische Einladung zur imaginativen Versenkung begriffen, sondern als Zeichen- und Wortmenge, die es systematisch zu erfassen und zu ordnen gilt. Führt man sich in diesem Sinne vor Augen, dass die Literaturwissen­schaft neben der konzentrierten, ununterbrochenen und versenkenden Lektüre immer schon andere Formen des lesenden und nicht-lesenden Um­gangs mit Literatur praktiziert hat, dann verliert das, was seit einigen Jah­ren unter der Zuhilfenahme von Computern(und unter der Bezeichnung ›Digitale Literaturwissenschaft‹ oder auch, weiter und englisch gefasst, ­ Digital Humanities 2 ) mit Texten angestellt wird, ein wenig von seiner Neu­heit und womöglich auch von seiner Fremdheit. Die Digitale Literatur­