10 Fontane Blätter 107 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes Armen-Colonie Frederiks-Ort«, eine Zwangskolonie, in der seit 1818 notleidende Arme angesiedelt wurden, um unter Aufsicht durch Feldarbeit ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Für den Berichterstatter ein voller Erfolg:»Die Colonisten sind arbeitsam, genügsam und froh, sie benutzen den von den Pfarrern der verschiedenen Kirchen aus der Umgegend alle 8 bis 14 Tage gehaltenen Gottesdienst freiwillig und pünctlich, und auch mit dem Schul-Unterricht der Kinder in dieser Colonie ist schon ein erfolgreicher Anfang gemacht.« Endlich kommt auf Seite 7 die Sparte»Theater« – besprochen wird heute eine Aufführung des soeben populär werdenden Schäferspiels Die Nachtigall und der Rabe des österreichischen Komponisten Joseph Weigl, das am 12. Januar mit den jungen Stars der Berliner Hofoper, der Sopranistin Caroline Seidler-Wranitzky und dem Baritonsänger Heinrich Blume, im Königlichen Schauspielhaus aufgeführt wurde. Damit endet der redaktionelle Teil des Blatts. Die übrigen 13 der insgesamt 20 Seiten umfassenden Zeitungsnummer widmen sich ausschließlich privaten und amtlichen Anzeigen jeder Art: Das Programm der Königlichen Schauspiele von Sonnabend bis Mittwoch wird bekannt gegeben, eine Redoute im Opernhaus angekündigt, gleichfalls mehrere Konzerte. Wilhelm Carl Gropius lädt in sein optisches Theater in die Klosterstraße, wo er soeben neun nie gesehene Ansichten vom Schloss Marienburg präsentiert. Carl Enslen zeigt dem Publikum Panoramen von Neapel, Petersburg, Konstantinopel, Edinburgh, Prag, Paris in seinem Haus Spittelbrücke 2 – allererste Anfänge einer modernen Unterhaltungsindustrie des Fern-Sehens. Inseriert werden ferner amtliche Bekanntmachungen, Ankündigungen, Werbe- und Privatanzeigen von Tuch-Ausverkäufen, Brennholz-, Rum-, Wein-Auktionen, Vermietungen, Wohnungsveränderungen, Dienst- und Beschäftigungsgesuchen, Steckbriefen, Verkauf von Seetang, Zündhölzern, chemischen Feuerzeugen und feiner Braunschweiger Wurst, geräuchertem Rhein- und mariniertem Elblachs, großen Oder-Neunaugen oder frischen englischen Austern. Ein Eldorado für den Berliner Stadt- und Kulturhistoriker. Uns interessieren jedoch nur die Familiennachrichten, die stets wohlgeordnet und übersichtlich in der ersten Beilage der Spenerschen Zeitung nach den zahlreichen und umfänglichen»Bücher-Anzeigen« zu finden sind: Verlobungen, Verbindungen, Entbindungen, Todesfälle, das bekannte ›Werden und Vergehen‹ menschlichen Lebens in nuce. Und hier, auf Seite 14, steckt die – aus heutiger Sicht – eigentliche Sensation der Zeitungsnummer. Zwischen den»Verlobungen und Heiraths-Anzeigen« sowie der »Anzeige von Todesfällen« ist an diesem Tag nur eine einzige»Entbindungs-Anzeige« platziert, die sich entschuldigend als»Verspätet« zu erkennen gibt und die aus dem zehn preußische Meilen entfernten Neuruppin kommt. Wir lesen:
Heft
(2019) 107
Seite
10
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