Familienanzeigen Rasch 9 Zensur-Kollegium»die ernstliche Ermahnung und Warnung, sich in bescheideneren Grenzen zu halten, da sie sonst im Falle fortdauernder Halsstarrigkeit den Antrag auf Entziehung des Privilegiums ihrer Blätter zu gewärtigen hätten“. 3 Die Drohung wirkte, denn»die beiden Zeitungen [schränkten] ihre politischen Erörterungen wesentlich ein; sie brachten nur das Notwendigste und hielten dabei mit ihrem Urteil fast vollständig zurück.“ 4 Nur zu oft dürfte also der Redakteur der Spenerschen Zeitung, Carl Wilhelm Cosmar 5 , mit sorgenvoller Miene aus den kleinen Fenstern seiner Redaktionsstube in der Schlossfreiheit Nr. 9 geschaut haben, wenn sein Blick auf die Westseite des Schlosses mit dem prachtvollen Eosanderportal fiel. Man sollte daher, wenn man heute diese Zeitungen von Anfang 1820 durchsieht, seine Erwartungen stark zurückschrauben. Nur schwach ist die Hoffnung, etwas wirklich Überraschendes zu finden. Da liegt die Nummer 7 der Spenerschen Zeitung vom Sonnabend den 15. Januar 1820 vor uns. Von weltbewegenden Ereignissen weiß auch sie nichts zu berichten. Das Blatt beginnt wie üblich mit Mitteilungen aus dem Königlichen Hause und tut kund, dass Seine Majestät der König geruht haben, dem Fürsten zu Schwarzburg-Sondershausen den Schwarzen Adlerorden zu verleihen. Auch zwei königliche Ernennungen finden Erwähnung. Anschließend kündigt sich über mehrere Spalten ein großes Berliner Gesellschaftsereignis an, das jährlich am 18. Januar 6 stattfindende Krönungs- und Ordensfest. Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Zwei ausführliche Bekanntmachungen der ›Königlich-Preußischen-General-Ordens-Commission‹ sowie der ›Königlichen Polizei-Intendantur hiesiger Residenz‹ regeln penibel und weitläufig den kurzen Fußweg des Königs vom Dom über den Lustgarten ins Schloss, ordnen die exakte Reihenfolge der ihm nachgehenden Ordensritter an, legen die Einschränkung des öffentlichen Verkehrs und allerlei sonstige Sicherheits- und Ordnungsmaßnahmen fest. Nach diesen umfassenden Instruktionen folgen auf Seite 2 einige auswärtige Nachrichten: Eine Korrespondenz vom Main(1 Woche alt), aus Brüssel(1 Woche alt), aus Paris(10 Tage alt) und aus London(14 Tage alt). Mitteilungen von einer bisweilen bizarren Belanglosigkeit:»Zu Cassel im Hennegau, in dessen Nähe der General Vandamme Güter hat, wollte man ihm zu Ehren, bei seiner Zurückkunft nach Frankreich ein Fest geben; er hat aber für gut befunden, demselben auszuweichen.« Verstehen wir heute den tieferen Sinn dieser Meldung nicht mehr, wenn es ihn geben sollte? Oder hat in diesem Fall der Zensor für gut befunden, eine Nachricht bis zur Unkenntlichkeit zusammenzustreichen? Auf Seite 5 beginnen ein paar unterhaltsame»Vermischte Nachrichten«, darunter die, dass sich in der Leipziger Zeitung ein Künstler anerbietet,»blasse Wangen dauerhaft roth zu machen.« Der korrekte Teint war wohl schon damals eine entscheidende Tagesfrage. Die Seiten 6 und 7 bringen eine lange Reportage über die 1818»in Holland neu gestiftete
Heft
(2019) 107
Seite
9
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