Heft 
(2019) 107
Seite
12
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12 Fontane Blätter 107 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes (Ve r s p ä t e t.) Die am 30sten December v. J. erfolgte glückliche, jedoch aber schwere Entbindung meiner Frau, geb. L a b r y, von einem gesunden S oh n e, habe ich die Ehre meinen Ver­wandten und Freunden hiemit ergebenst anzuzeigen. Fontane, Apotheker in Neu-Ruppin. Diese von Louis Henri Fontane aufgegebene Annonce in der Spenerschen Zeitung vom 15. Januar 1820 7 ist die erste, wenn auch nur indirekte Nen­nung Theodor Fontanes in einer Berliner Tageszeitung. Warum sie verspä­tet erfolgte, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Ebensowenig ob Louis Henri Fontane das Inserat von Neuruppin aufgegeben oder durch einen Mittelsmann in Berlin veranlasst hatte. Die Post von Neuruppin bis Berlin dauerte etwa ein bis zwei Tage. Das Inserat hätte also schon gut eine Wo­che früher erscheinen können. Der Vorname des jungen Erdenbürgers wird nicht genannt. Das war in jener Zeit bei Entbindungsanzeigen gene­rell nicht üblich. 8 Möglicherweise hängt diese Gepflogenheit damit zusam­men, dass die Kinder noch nicht getauft waren. Vermutlich galt es als un­schicklich, der Kirche bei der ersten öffentlichen Verkündigung des Namens während des Taufaktes vorzugreifen. Fontane wurde erst vier Wochen nach seiner Geburt und zwei Wochen nach dieser Zeitungsannon­ce, am 27. Januar 1820,»in der Neuruppiner Pfarrkirche auf den Namen ›Heinrich ­Theodor‹« 9 getauft. Aber auch ein anderer, semantischer Um­stand macht sich geltend: Es handelt sich hier nicht um eine Geburts- son­dern ausdrücklich um eine»Entbindungsanzeige«. Im Mittelpunkt der Entbindungsanzeige steht die Entbindende, nicht der Entbundene. Die Mutter ist die Hauptperson, die Hauptakteurin der Geburt. Ihre herausra­gende Rolle wird durch die Nennung ihres Mädchennamens(geb. Labry) unterstrichen. Auch das war in dieser Zeit bei Entbindungsanzeigen üb­lich. Damit wird freilich nicht nur die mütterliche Linie des Kindes betont. Vor allem sollten sich in der Annonce auch alle Angehörigen der Familie Labry in Berlin angesprochen fühlen. Wenn es im Inserat von Louis Henry Fontane heißt, es habe sich um eine »glückliche, jedoch aber schwere Entbindung« gehandelt, so wird damit ein winziges Detail der späteren autobiographischen Erzählung Fontanes be­kräftigt. Dieser erwähnt in Meine Kinderjahre die gefahrvollen Stunden seiner Geburt:»Es war für meine Mutter auf Leben und Sterben, weshalb sie, wenn man ihr vorwarf, sie bevorzuge mich, einfach antwortete ›er ist mir auch am schwersten geworden.« 10 Natürlich konnte Fontane die Um­stände seiner Geburt nur aus Familienerzählungen wissen. Einen kleinen Beleg dafür halten wir jetzt mit dieser Annonce in Händen.