Otto Brahms Essay über Ibsen Möller 29 gegen den Glauben« stritt und den»Einklang von Lehre und Thun, von Glauben und Sein« forderte, fand Fontane interessant(S. 23).»›Platz sich selber zu gehören‹, will Brand erstreiten, wie ihn Ibsen erstritten hat.« Diesen Satz(S. 24) hat Fontane angestrichen. 41 Mit einem Doppelstrich markierte Fontane die Passage darüber, dass es nur»einer bedeutenden schöpferischen Kraft« gelingen konnte, das»Construirte und Complicierte in all diesen sich bedrängenden Voraussetzungen und Motiven dieses Stoffes zu überwinden«(S. 26). Die Passage über den Einfluss von Kierkegaard und dessen»Verherrlichung der Leidenschaft und des ›einzelnen‹ Individuums« hat Fontane mit langem Strich markiert(S. 28 f.). Mit einem Doppelstrich hervorgehoben hat er auch das Bild von einem»dritten Reich«, einem unbekannten»Zukunftsland, in welchem die Versöhnung zwischen dem Reich des griechischen Naturcultus und dem weltfremden Reich der Christenheit gefunden ist.«(S. 33). Besonderes Interesse fanden die Ausführungen Brahms in den Abschnitten 5 und 6 bei Fontane. Die Charakteristik der Figur Stockmann aus dem Drama Ein Volksfeind bewertete Fontane mit»sehr gut«(S. 58 f.), die der Figur Gregers aus Die Wildente mit»Auch sehr gut«(S. 60). Brahm schrieb, Gregers leide»an einer nationalen Krankheit: einem akuten Rechtschaffenheitsfieber«. Diesen trefflichen Ausdruck hat Fontane(wie hier gekennzeichnet) unterstrichen. Die weiteren Erklärungen zu der Figur fand er jedoch nicht überzeugend und markierte sie mit einem Fragezeichen. Die Formel»Wettstreit, nicht Streit«, mit der Brahm Johannes Rosmer aus dem Drama Rosmersholm charakterisierte, gefiel Fontane»gut«, wie er am Rand notierte(S. 61). Und Brahms Einschätzung von Ibsens künstlerischer Entwicklung markierte er mit einem dreifachen und einem doppelten Strich: »[…] er nennt nun wirklich die schwere Kunst sein eigen, ›in einfacher, wahrer Sprache der Wirklichkeit zu dichten‹: sein Realismus ist zugleich an jedem Punkte poetisch und seine Poesie ist überall real.«(S. 62). Die Einschätzung von Rebecca West als»der überragenden weiblichen Heldin des Stückes« – weiterhin geht es um Rosmersholm – erschien Fontane dagegen fraglich. Der Bewunderung, mit der Brahm den Schluss des Stückes würdigt, konnte er ebenfalls nicht ungeteilt zustimmen. Brahms Beurteilung der Sprachkunst Ibsens bewertete Fontane mit»Sehr gut«, den Vergleich der in verschiedenen Werken wiederkehrenden Motive jedoch als»Zu fein, zu spintisirend und dadurch doch rechter Klarheit entbehrend.«(S. 63). Allerhand auszusetzen hatte Fontane am sechsten und letzten Abschnitt von Brahms Schrift, in dem es um die künstlerische Entwicklung Ibsens und den Zusammenhang von Leben und Dichtkunst geht.»Aber wenn der schöpferische Proceß beendigt ist und der Dichter seinem Werke nun bewußter gegenübersteht, erkennt er den Zusammenhang zwischen dem Gedicht und dem eigenen Leben, der ihm früher verhüllt war[…]«. Diese Passage streicht Fontane an und glossiert:»alles zu feierlich«(S. 67). Noch
Heft
(2019) 107
Seite
29
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