28 Fontane Blätter 107 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes Dass in der Gesellschaft bei August von Heyden am Abend nach der Vorstellung erregt über Ibsen debattiert wurde, kann man sich vorstellen, wenn man die Rezensionen Fontanes und Schlenthers liest. In seiner aus eigenem Antrieb geschriebenen Kritik orakelte Fontane, dass es die»größte aller Revolutionen« sein würde,»an Stelle der alten, nur scheinbar prosaischen Ordnungsmächte die freie Herzensbestimmung zu setzen. Das wäre der Anfang vom Ende.« 36 Die in den Gespenstern von Ibsen vertretenen Grundsätze hielt er für falsch und suchte, sie mit bemerkenswertem rhetorischen Aufwand zu widerlegen. Otto Brahm fasste die von Fontane bei dieser Gelegenheit zum Ausdruck gebrachten Überzeugungen später in einem einzigen Satz zusammen:»Ehe ist Ordnung.« 37 In seinem Roman Effi Briest, den er gerade in jener Zeit zu schreiben begann, gestaltet Fontane allerdings ein ähnliches Thema: Das Scheitern einer Konventionsehe und das Versagen des gesamten sozialen Netzwerkes, in das sie eingebunden war. Dieser Roman muss auch als eine nachträgliche Bestätigung von Ibsensfundamentaler Kritik an der bürgerlichen Ehe gelesen werden. Wiederholt kam Fontane später auf seine prinzipielle Kritik an Ibsens Ehe-Auffassung zurück. Der Publikumserfolg der Gespenster ändere nichts an der nach seiner Meinung falschen Tendenz dieses Stücks, erkläre sich vielmehr durch die»Macht der Ueberzeugung«. 38 Wahrheit sei etwas ganz anderes. Überhaupt:»Was heißt Wahrheit?« 39 fragte er 1889 in seiner Rezension, die er über die Aufführung von Ibsens Gespenstern schrieb, mit der der Verein Freie Bühne seine Tätigkeit aufnahm. Seine klare Positionierung hinderte Fontane nicht, ermöglichte ihm vielleicht erst, dem Verein, der mit dieser Inszenierung sein glänzendes Debüt gab, seine Anerkennung auszusprechen und Erfolg und Unterstützung zu wünschen für seine weitere Tätigkeit. Das»ganz ungewöhnliche Interesse« 40 beim Publikum sollte den Vorstand anspornen. Fontanes Lektüre von Brahms Ibsen-Essay Auch Fontanes Lektüre von Otto Brahms Ibsen-Essay und die Lesespuren, die er im Zuge dieser Lektüre in dem Heft hinterlassen hat, zeigen seine ambivalente Haltung zu Ibsen und zum Naturalismus. Neben den charakteristischen Bewertungen wie»schön«,»gut«,»sehr gut« bzw.»ja« oder »nein«, die vor allem der Darstellung des geschätzten jungen Essayisten galten, erregten einige Passagen von Brahms Essay auch Fontanes Widerspruch. Angestrichen hat Fontane die Anekdote, dass Ibsen ein auf eigene Kosten verlegtes Erstlingswerk später aufkaufte, um wenigstens das Geld für das Altpapier zu erhalten; nicht mehr als 30 Exemplare waren verkauft (S. 11). Den Vergleich von Liebe(Poesie) und Ehe(Prosa) fand Fontane bemerkenswert(S. 14), das Bild vom Reiter, der Nacht für Nacht in die Heimat reitet,»schön«(S. 23). Die Charakterisierung des Priesters Brand(im gleichnamigen Drama), der»gegen die Kirche als staatliche Anstalt, nicht aber
Heft
(2019) 107
Seite
28
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