Heft 
(2019) 107
Seite
164
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164 Fontane Blätter 107 Rezensionen und Annotationen Herausforderungen des Realismus. Theodor Fontanes Gesellschaftsromane. Hrsg. von Peter Uwe Hohendahl und Ulrike Vedder. Freiburg i.Br., Berlin, Wien: Rombach 2018. 332 S. 56,00 Unter dem ambivalenten Titel Herausforderungen des Realismus setzt sich der von Peter Uwe Hohendahl und Ulrike Vedder herausgegebene Sammel­band zum Ziel, Fontanes Darstellung des Sozialen in seinen Gesellschafts­romanen aus aktueller Sicht zu beleuchten. In der Einleitung stellen die Her­ausgeber die Frage, weshalb Fontane, längst kanonisiert im Rahmen der deutschen»Nationalliteratur«, noch immer nicht als einer der großen europäischen Realisten akzeptiert sei und ihm im Vergleich mit Flaubert, Zola, Dickens oder Henry James die internationale Anerkennung fehle; sie re­kapitulieren die Thesen von Auerbach, Demetz und Müller-Seidel zu Fontane­und erkennen den Grund in der thematisch-inhaltlichen Ausrich­tung von deren Analysen. In Abgrenzung dazu liegt der Fokus der jünge­ren orschung Hohendahl und Vedder zufolge auf der formalen Gestaltung und der Figurenkonzeption, denn Fontane erzähle»nicht von Gesellschaft, sondern von in Gesellschaft eingebundenen Menschen, einschließlich ih­rer kognitiven, psychologischen wie existentiellen Lage«(S. 10), und damit nicht nur von einem gegebenen Sozialen, sondern ebenso von dessen Kon­stitution im Wege der Interaktion und wechselseitigen Beobachtung sowie der Kommunikation darüber eine Erkenntnis, die Martin Swales bereits 1988 in ähnlicher Weise formuliert hat(» Neglecting the Weight of the ­Elephant«: German Prose Fiction and European Realism). Der erweiterte Begriff des Sozialen führt auch zu einer Erweiterung des Realismusbe­griffs, wobei die Einbeziehung des sozialen Imaginären eine prominente Rolle spielt. Eine gewisse Ambivalenz kennzeichnet nicht nur den Titel, sondern auch die Konzeption des Bandes: Mit je einem Aufsatz zu den 13 Erzähltex­ten Fontanes, die hier als Gesellschaftsromane begriffen werden(nicht be­handelt werden Grete Minde, Ellernklipp, Unterm Birnbaum und Quitt), mutet er an wie eine Art Companion oder Handbuch, andererseits versam­melt er die Vorträge zweier Fontane-Konferenzen, die 2015 und 2016 an der Cornell University und der Humboldt-Universität zu Berlin stattgefunden haben. Wie es bei einem Companion nicht sein sollte, bei Tagungsbänden aber naturgemäß häufig der Fall ist, sind die Beiträge von ungleichem ar­gumentativen und sprachlichen Niveau und von unterschiedlichem Er­kenntniswert für den Leser. Als eines der Glanzstücke des Bandes erscheint mir der Aufsatz von Christian Begemann:»›Ein Spukhaus ist nie was Gewöhnliches‹ Das Ge­spenst und das soziale Imaginäre in Fontanes Effi Briest«, der die bislang