Heft 
(2017) 103
Seite
106
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106 Fontane Blätter 103 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte aus einem weiten gesellschaftlichen Spektrum zu korrespondieren, wozu Professoren, Minister, Führungskräfte aus der Industrie, Grafen und Grä­finnen, Nonnen, Mittelschullehrer und Prediger ebenso zählten wie Poli­zeibeamte, Kneipenwirte, zweitklassige Schauspieler und Mätressen. 26 Solcherlei Kontaktpersonen versorgten Fontane in ihren Antworten mit einer Vielzahl unterschiedlicher Materialien. 2. Epistemologie des Bibliotheksnetzes In seiner rapiden Expansion arbeitete das Bibliotheksnetz ohne interne Organisationsprinzipien. Die virtuelle Bibliothek wies kein festes Klassifi­kationssystem auf, sondern operierte nach einer bloß additiven Logik und fluktuierenden Auswahlkriterien bei der Inklusion heterogener Quellen. Epistemologisch gesehen bedeuteten aber gerade die instabilen Auswahl­kriterien und die damit verbundene Unmöglichkeit der Klassifikation die größten Stärken der Bibliothek, denn gerade sie ermöglichten potenziell unbegrenztes Wachstum und erhöhten die Wahrscheinlichkeit für Über­raschungen und die Neuheit der Inhalte(Neuheit sowohl im Sinne noch nicht publizierter Materialien als auch im Sinne unerwarteter Kombinati­onen). Hätte Fontane im Vorfeld einen Masterplan entworfen und ein In­haltsverzeichnis seiner Bibliothek erstellt, dann hätte er vorab die An­knüpfungspunkte bestimmt, an denen sich neues Material hätte anschließen können; auf diese Weise hätte er die Expansion der Bibliothek in eine ge­ordnete, feste und begrenzte Sequenz gezwungen. 27 Ohne diese Systema­tisierung konnte seine Bibliothek jedoch wachsen wie der Luhmannsche Zettelkasten: Alles ließ sich überall anschließen, und nichts war von vorn­herein ausgeschlossen. Ein kompaktes Beispiel dieser additiven Logik und ihrer Auswirkun­gen lässt sich auf zwei Doppelseiten des Notizbuches E2 ausmachen. Dort listete Fontane Quellen auf, die er für seinen ersten Roman Vor dem Sturm: Roman aus dem Winter 1812 auf 13 28 konsultieren wollte. Die Einträge bie­ten einen Einblick in den Modus Operandi des Bibliotheksnetzes und zei­gen, dass die inklusive Logik zur Nebeneinanderstellung ganz verschiede­ner Objekte und Quellen führte zu einer Nebeneinanderstellung, die so radikal war, dass sie sogar Unterscheidungen nach Genres und nach zuge­schriebenem literarischen Wert der Materialien außer Kraft setzte(Abb. 1 und 2). Unter der Überschrift»Bücher« führt die Liste auf den Seiten 52r–53r eine kaum zu kategorisierende Vielzahl von Quellen und Genres auf; sie vermischt Metonymien für die Schriften bestimmter Autoren(»Marwitz«, »Voltaire«) mit spezifischen Literaturangaben(»Jahns Volksthum«,»Die Reden Fichtes«) und dann wiederum spezifische Literaturangaben mit