Ehepaar Reuter seit Juni 1863 wohnt, ihrer in Vorpommern lebenden Freundin Marie Peters. Was hier nur beiläufig vermerkt und fast wie eine Störung des Häuslichen empfunden zu sein scheint, gestaltete sich in Wirklichkeit doch anders. Dem ausgeprägten Repräsentationsbedürfnis vor allem Luise Reuters entsprach es, solchen Besuchen und freundlichen Aufwartungen sehr bewußt, aber nicht selbstgefällig abzufühlen, was die Einkehrenden hergeführt hatte: Verehrung, Bewunderung und Dank für Fritz Reuter. Mehrere von Luise Reuter angelegte Besucherlisten aus den ersten Eisenacher Jahren (1863 und 1864) verzeichnen Hunderte Namen von teilweise hohem Rang und gutem Klang 2 — Ausdruck der allgemeinen Wertschätzung Reuters, aber auch der geflissentlichen Bereitwilligkeit, eben diese Huldigungen immerfort entgegenzunehmen.
Das in den letzten Augusttagen des Jahres 1867 festlich begangene Wartburg-Jubiläum mochte sie herbeigerufen haben: Bayard Taylor, den führenden amerikanischen Reisebeschreiber und Korrespondenten der „New York Tribüne“, und Theodor Fontane, den Dichter der „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ und abhängigen Schriftsteller als Redakteur der „Neuen Preußischen (Kreuz-) Zeitung“. Beide wollen es sich nicht nehmen lassen, bei Fritz Reuter vorzusprechen. Doch wie wohl es dann bei Taylor in seinem im August 1867 geschriebenen „Amerikanischen Brief aus Thüringen“ heißt: „Ich traf ihn nicht zu Hause“ 3 , so verlautet es auch bei Fontane, der unter dem 26. August 1867 in sein Tagebuch einträgt: „Um 5 Besuch bei Fritz Reuter am Fuße der Wartburg; nur seine liebenswürdige Frau getroffen; er ‘krank“.“ 4
Der Besuch Fontanes konnte noch nicht in der Reutervilla, von der gern gesagt wird, daß sie sich am Fuße der Wartburg befinde, stattgefunden haben; denn das eigene Heim ist erst am 1. April 1868 bezogen worden. Fontane ist also noch in der alten Wohnung Reuters, die dieser im sogenannten Schweizerhause des Baurat Dittmar von 1863 bis 1868 hatte, eingekehrt. Natürlich, auch dieses am Schloßberg bzw. am Predigerplatz befindliche Gebäude liegt, wie schließlich die gesamte Stadt Eisenach, „am Fuße der Wartburg“.
Wie immer es um die Gesundheit Fritz Reuters,zu dieser Zeit stand, das von Fontane durch Anführungszeichen besonders apostrophierte Wort „krank“ läßt auf den „bösen Dämon“ Reuters schließen, zielt eindeutig in Richtung einer durch Alkohol bewirkten Unpäßlichkeit. Eine Begegnung zwischen Fritz Reuter und Theodor Fontane hat also nicht stattgefunden, weder jetzt noch später. Das mag man bedauern, zumal Fontane gewiß mehr als nur einen Höflichkeitsbesuch zu absolvieren gedachte. Ihm dürften die wichtigen Werke Reuters schon recht früh vertraut gewesen sein - nachweislich „Ut mine Festungstid“ besaß er als Zweitausgabe von 1863 in seiner Handbibliothek 5 —, und es mochte einen starken Reiz auf ihn ausgeübt haben, den Autor dieser berühmten plattdeutschen Werke, die sich Ende der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts schon eine breite nationale Resonanz erworben hatten und von deren urwüchsig-derbem und volkstümlichem Humor
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