Heft 
(1978) 28
Seite
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Fontane fasziniert war und nachhaltig beeindruckt geblieben ist, per­sönlich kennenzulemen. Ob auch Reuter die bis dato erschienenen Fon­tanedichtungen gekannt hat, muß hingegen sehr bezweifelt werden. Denn seine private Buchsammlung, in der sonst eine ganze Reihe zeitgenös­sischer Autoren mit ihren wesentlichen Werken vertreten ist, hat von Fontane lediglich ein kleines Bändchen Gedichte. Es ist die Erstausgabe der vom Berliner Carl Reimarus Verlag herausgebrachtenGedichte Fontanes aus dem Jahre 1851. Und der Eindrude will nicht schwinden, als handele es sich bei diesem auch äußerlich sehr schönen Büchlein um ein Mitbringsel, um das Gastgeschenk, das der Märker dem Mecklen­burger hatte überreichen wollen. Daß das Gedichtbuch den geschilderten Umständen entsprechend dann eine Gabe für Reutersliebenswürdige Frau wurde, erhält sein sichtbares Zeichen letztlich darin, daß Luise Reuter ihren Namen hineinschreibt, ihren Namenszug im Duktus ihrer späten Handschrift. Fontane schien gut auf ein Zusammentreffen mit Reuter vorbereitet gewesen zu sein und sich mit allen wesentlichen Lebensumständen des Mecklenburgers vertraut gemacht zu haben. Darauf deuten zwei umfängliche Pressebeiträge über Leben und Werk Reuters aus dem Jahre 1865 hin, die sich in Fontanes Zeitungsartikelsammlung befinden und von ihm herrührende Benutzungsspuren aufweisen. 11 In welcher Form die Begegnung auch verlaufen wäre und welche künstlerischen Ergebnisse sie womöglich erbracht hätte, eines darf mit Sicherheit angenommen werden, daß Fontanes spätere Meinung über die Mecklenburger freundlicher gelautet hätte. Das gänzlich Unam­bitionierte, die Jovialität und die Liebenswürdigkeit Reuters würden nicht unsympathisch auf Fontane gewirkt haben, so daß sein Urteil über das Wesen der Mecklenburger und ihre Art, sich der Welt mitzu­teilen, doch wohl milder und nachsichtiger formuliert worden wäre als es dann schließlich ausgefallen ist:

Ein merkwürdiges Geschlecht diese Mecklenburger. Alle begabt, aber doch meist nur Mittelsorte, und trotzdem alle von dem Glauben durch­drungen, daß es mit ihnen was Besondres sei. Mich hat das immer schon geärgert, ich nahms früher aber hin; jetzt, in meinen ganz alten Tagen, zeige ich ziemlich deutlich, daß ichs lächerlich finde. Dabei sind sie alle langweilig. Das nennen sie dann Humor, wenn sie plötzlich, mit einem ziemlich unverschämten Gesicht, aus ihrem Mustopf heraus­kucken. 7Sie haben unbestreitbar eine wundervolle Durchschnitts­begabung, werden aber ungenießbar dadurch, daß sie einem dies Durch­schnittsmäßige, dies schließlich doch immer furchtbar Enge und Klein­städtische, als etwas ,Höheres, als das eigentlich Wahre aufdringen möchten. Ein Mecklenburger ... bringt die Vornehmheit, den großen Stil nicht heraus, er bleibt bei Lining und Mining oder bei Bräsig oder bei Leberecht Hühnchen. Das sind nun alles allerliebste Figuren, aber sie rechtfertigen durchaus nicht die Dickschnäuzigkeit, womit sie einem präsentiert werden.

Fontanes Unmut entzündete sich zunächst an Heinrich Seidel und dessen damals vielgelesenen Büchern, greift aber auch auf Reuter und dessen

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