Dichtkunst über, ja wendet sich schließlich recht ungezügelt und undifferenziert gegen alle Mecklenburger. Mochte ihn das ungebrochene Verhältnis Fritz Reuters zu seinem Schaffen, seinen literarischen Figuren und der im wesentlichen intakten und zumeist ebenso kleinen wie engen Welt seiner großen Erfolgsdichtungen auch verwundern, und mochte ihn gar das in keiner Weise relativierte Bekenntnis Reuters zu den Werten des Heimatlichen, zu den allein im Regionalen verwurzelten Menschen und zu deren kleinen Verhältnissen aufbringen, es hält dennoch schwer, darin etwas Großspuriges, eine mecklenburgische Überheblichkeit* oder, wie Fontane es sagte, eine Art Dickschnäuzigkeit zu sehen. Was dem im Alter oftmals zur undifferenzierten Kritik neigenden Fontane auch an Reuter mißfällt, was ihm aus der Sicht seines reifen, kunstvoll komponierten, psychologisch vertieften, geist- und reflexionsreichen Alterswerkes an der urwüchsig-unbekümmerten Fabulierart Reuters auch Unbehagen bereitete, nichts kann ihn aber davon abhalten, sowohl Atmosphärisches und Stimmungshaftes aus Reuters Werk zu adaptieren und es manchen Szenen seiner Bücher anzuverwandeln 9 als auch direkte Bezüge zu Reuter herzustellen und Reuterreminiszenzen verschiedenster Spezies vorzuführen, z. B. in Form von Figurennamen, Werktiteln und ähnlichem.
II
Daß Fritz Reuters plattdeutsche Werke, vor allem seine humoristische Prosa, schon in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts so starke nationale Verbreitung und Anerkennung gefunden haben, ist ein hervorstechendes literatursoziologisches und rezeptionsgeschichtliches Phänomen, das Fontane aufmerksam registriert und dessen Wirkung er sich nicht entziehen kann. Die zahlreichen plattdeutschen Texteinschübe in Form einzelner Wörter, satzartiger Wendungen und Redensarten, auch ganzer Dialogpassagen, die sich in vielen Erzählungen und Romanen Fontanes finden, lassen einen Einfluß vermuten, der von Reuters erfolgreichem plattdeutschem Schaffen auf Fontanes literarische Arbeiten erfolgt ist. Wenigstens mochte sich Fontane durch das Beispiel Fritz Reuters bestärkt gesehen haben, auch Plattdeutsches in seine Dichtkunst einzubauen. Er verwendet das Mundartliche als Medium vor allem deswegen, um das Kolorit vornehmlich solcher Szenen zu vermitteln, in denen Vertreter des einfachen Volkes dargestellt und zumeist in Dialogen, entweder untereinander oder mit privilegierten Personen, vorgeführt werden. Aber nicht nur der wirklichkeitsgetreuen szenischen Färbung wegen hat Fontane zum niederdeutschen Wort gegriffen, sondern oft um des sozialen und gesellschaftlichen Kontrastes willen, den er zwischen den plattdeutsch redenden Knechten, Kutschern und Dienern auf der einen und den hochdeutsch sprechenden Adligen und ihren Verbündeten auf der anderen Seite herausarbeitet und betonen will. Eben für diese einer realistischen Wirklichkeitsbewältigung dienenden Gestaltungsmittel findet er bei Reuter, vor allem in dessen Meisterwerk ’.Ut mine Stromtid“ (1862—1864), reichhaltige Anregungen: Auch solche, die ihn befähigen, aus der Sicht der Untergebenen und mit dem Maß ihres gesunden
