„Nur zu, Freundchen! Ich kauu es nicht leugnen, daß es zunächst die profane Empfindung der Neugier ist, die mich beherrscht — wie nämlich Du, vor dem ich im übrigen alle Hochachtung habe, Dich einer Aufgabe, die doch soviel Gewandtheit und Seelenkunde erfordert, gewachsen zeigen dürftest!"
„Ja — darauf bin ich selbst neugierig!" entgegnete der Prediger ruhig. „Jedenfalls werde ich thun, was in meiner Macht steht."
„Hat Dich der Direktor mit Deinen neuen Pflichten als Gefüngnißprediger bekannt gemacht?"
„Gewiß! Er hat mir gesagt, wann allgemeine Andachten gehalten werden, und wer dazu zugelassen wird, wer nicht. Er hat mir in allgemeinen Zügen ein Bild des Sinnes und des Geistes, der unter diesen meinen neuen Pflichtbefohlenen herrscht, entworfen — zu Dir im Vertrauen gesagt, Fritz: mein Vorgänger im Amt hat sich's ungeheuer bequem mit seiner Aufgabe gemacht, er hat fast alles, was ihm unangenehm war — und dies war sehr viel, wie ich Dir kaum zu sagen brauche — von sich abgeschüttelt und ist eigentlich nur den: Namen nach Gefüngnißgeist- licher gewesen. Nach des Direktors Aussage, die mir frei von Uebertreibung zu sein schien, muß eine unglaubliche Rohheit und Verwilderung unter diesen verkommenen Menschenkindern Platz gegriffen haben."
„Armer Reginald! Diese Bande wird Dir schwer zu schaffen machen! Ich bitte Dich um alles, laß einmal Deine liebenswürdige Milde und Duldsamkeit beiseite und geh' mit den Kerlen schneidig ins Zeug; droh' ihnen mit Höllenstrafen und ewiger Verdammniß, mit jüngstem Gericht und Teufeln, daß ihnen die Haare zu Berge stehen! Hast Du denn viele schwere Verbrecher?"
„Leider ja! Einbrecher und Diebe, Falschmünzer, Brandstifter — wir leben in einer bösen Zeit! Ein Fall namentlich, von dem mir der Direktor sprach ..."
„Was ist das für ein Fall? So etwas reizt mich ganz ungemein!"
„Das wußte ich! Also, es liegt schwerer Raubmord vor. Der Thäter, ein gewisser Schönfeld — er hat oft andere Namen angenommen, in Berlin nannte er sich Heller, in London Deaks, glaube ich -— ist ein Mensch gefährlichster Sorte und steht im allerdringendsten Verdachte, das Oberhaupt einer ganzen, wohl- organisirten Bande zu sein, die in verschiedenen großen Städten ihr Unwesen treibt — Anarchisten, Umsturzmänner der schlimmsten Art. Der Mensch, der den Eindruck eines gebildeten Mannes im oberflächlicheren Sinn machen soll, verweigert hartnäckig jede Auskunft über seine Mitschuldigen, leugnet aber die That selbst keinen Augenblick, was ihm freilich auch nichts helfen würde, da er unmittelbar nach derselben am Ort des Verbrechens selbst ergriffen wurde und seine Urheberschaft zweifellos erwiesen ist. Er behauptet, die Unthat ganz allein Vvllführt zu haben, eine Aussage, die durch verschiedene klar am Tage liegende Umstände offenbar zur Lüge gestempelt wird. Er hat sie beschworen, aber natürlich einen Meineid geleistet, von dem Bestreben beseelt, nicht den Angeber zu spielen. Die Geschworenen konnten nicht anders als ihn zum Tode durch Henkershand verurtheilen — jetzt ist das Gnadengesuch — nicht auf Antrieb des Verbrechers — an Se. Majestät abgegangen, ich fürchte aber, es wird abschlägig beschieden. Er selbst soll völlig mit dem Gedanken vertraut und zufrieden sein, einen so schimpflichen Tod erleiden zu müssen, und eine Verlängerung seines Daseins weder erwarten noch wünschen. Den Aerzten, die ihn beobachteten, in der Vermuthung, es könne Irrsinn vorliegen oder während der That zeitweilige Geistesstörung stattgefnnden haben, hat er kurz und trocken erklärt, sie möchten sich nicht weiter bemühen — er sei ebenso richtig und klar im Geist wie die Herren selbst, er habe damals genau gewußt und wisse auch jetzt, was er gethan habe und welche Folgen sein Verbrechen nach sich ziehe. Wirklich sind seine Antworten, insofern sie nur seine eigenen Angelegenheiten betrafen und seine. Helfershelfer ganz ans dem Spiel ließen, von einer derartigen Folgerichtigkeit und Sicherheit gewesen, daß von irgend welcher Entschuldigung durch Krankheit nicht entfernt die Rede sein konnte."
„Hat er keine Angehörigen, von deren Einfluß auf ihn etwas zu erwarten wäre?"
„Eine einzige Schwester, eben die, welche das Gnadengesuch für ihn eingereicht hat. Sie lebt in Ungarn, die Geschwister sind seit langen Jahren außer allem Zusammenhang, die Frau hat
eine zahlreiche Familie, lebt in beschränkten Verhältnissen und ist nicht in der Lage, hierherzukommen, um ihren Bruder zu sehen. Sie traut sich überdies nicht den geringsten Einfluß auf ihn zu, auch hat er erklärt, sie keinesfalls Wiedersehen zu wollen, es hätte gar keinen Sinn, sie kommen zu lassen."
„Hat er die That aus Noch begangen?"
„Allem Anschein nach nicht aus persönlicher Noth gerade. Es ist den Richtern, so kurz und vorsichtig der Verbrecher auch in seinen Antworten war, zweifellos klar geworden, daß er Aufwieglern und Volksverderbern in die Hände gefallen und, vermöge seiner nicht wegzuleugnenden Begabung, seiner Bildung und eines gewissen zwingender: Einflusses seiner ganzen Persönlichkeit, ein höchst gefährliches Werkzeug dieser Leute geworden ist. Er besitzt nicht unbedeutende kaufmännische Kenntnisse, hat in jungen Jahren mehrfach in Comptoiren gearbeitet und stand nicht ganz ohne Mittel da, als er die That beging."
„Wer war es denn, den er gemordet hat?"
„Eine sehr reiche, sehr hartherzige alte Dame, vom bösartigsten Geizteufel besessen, ein Wesen, das niemand liebte und dessen einziger Genuß darin bestand, Schätze zusammenzuscharren, wobei die Wahl der Mittel ihr ganz gleichgültig war. Sie hat Wucher der schlimmsten Art getrieben und ist mehrmals nahe daran gewesen, mit dem Strafgesetzbuch in allernächste Berührung zu kommen. Schönfeld behauptet, durch ihre Beseitigung eine gute That vollbracht und die Welt von einem Scheusal befreit zu haben. Es thäte ihm nur leid, ihr Geld nicht in Sicherheit gebracht und ,vertheilt' zu haben, wie es seine Absicht gewesen wäre. Es scheint, daß seine Spießgesellen mit einem Theil des Raubes das Weite gesucht und ihn, der bei den Werthpapieren beschäftigt war, noch rechtzeitig gewarnt haben. Er war aber gerade dabei, eine Allzahl von Schuldverschreibungen, meist mittelloser Leute, die er aus dem feuerfesten Geldschrank hervorgeholt hatte, zu zerreißen, glaubte wohl auch die Gefahr nicht so nahe und verließ sich auf seine große Gewandtheit ... es half ihm aber alles nichts, mall faßte ihn, als er im Begriff war, aus einem Hinterfenster zu klettern — er feuerte noch zwei Schüsse ans seinem Revolver ab, verwundete einen der verfolgenden Polizisten schwer, den andern leicht und wurde nach einer verzweifelten Gegenwehr überwältigt und schwer gefesselt davou- geführt."
„Donnerwetter!" Der Lieutenant schlug mit der Faust auf den Tisch, sprang auf und fing an, ganz erregt im Zimmer auf- nnd abznlaufen. „Wie der Kerl es noch verstanden hat, sich förmlich mit einem Nimbus von Heldenthum zu umgeben! Stiehlt nicht für sich selbst, sondern für andere! Mordet einen alten Geizdrachen, an dem die Welt keinen Pfifferling verliert! Zerreißt die Schuldscheine armer Leute, damit die nicht noch nachträglich in die Patsche gerathen! Will seine Gefährten um keinen Preis nennen! 's liegt so was von Großartigkeit in all dem! Ja, zum Teufel — wenn diese Erzkanaille —"
„Wenn ich Dich bitten dürfte, Fritz! War'Dir's nicht möglich, etwas weniger zu fluchen?"
„Ach so! Das kommt davon, Regi, daß Du im gewöhnlichen Leben so gar nichts von einem Pfaffen, wollte sagen Prediger hast! — Nimm's nicht übel, daß ich dazu aus vollem Herzen Gott sei Dank sage! Solche Leute, die mit der Miene von Heiligen unter uns profanem Volk herumwandeln, sind mir ein Greuel! Aber genug davon! Dieser Kerl, dieser Schönfeld! Und dies Galgenfrüchtchen sollst Du nun mit geistlichem Zuspruch erbauen?"
„Ich soll, und ich werde es — trotzdem er als einzige Bitte an den Direktor den Wunsch ausgesprochen hat, man möge ihn mit der Geistlichkeit verschonen!"
„Eine hübsche Aufgabe für Dich, Freund und Vetter! Ich möchte diesen Schönfeld, a1in8 Heller, nlin8 Deaks, wohl kennenlernen! Fast wollte ich, ich wäre an Deiner Stelle!"
Der Prediger mußte lächeln.
„Ob dabei etwas Vernünftiges herauskäme?"
„Weiß ich nicht! Himmlische Freuden würde ich ihm nicht in Aussicht stellen, vielmehr die ausgesuchtesten Qualen, die ein solcher niederträchtiger Satansbraten —"
„Fritz!"
„Ja, ja, ich mäßige mich schon, obgleich diese Sache eine gewisse Derbheit in der Bildersprache entschieden begünstigt. Nun sag' mir nur noch: wie lange hat denn der Kerl noch zu leben?"