Heft 
(1890) 38
Seite
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einzunehmen habe an der rechten oder an der linken Seite; ihrsehr verständiger" Bräutigam behaupte: an der rechten, als der Ehrenseite, ihre Mutter aber: an der linken, um schon mit dem Platze die Stellung der Frau ihrem Gatten und Herrn gegenüber anzudeuten. Ein junger Norddeutscher sragte ganz empört kurz an:Ist es erlaubt, Spargeln mit den Fingern zu essen? Das ist ja barbarisch!" Und eine kleine neugebackene Hausfrau verlangte Entscheidung, ob sie ihr Dienstmädchen mitDn" oderSie" anreden solle.

Wir wollen diesen Dreien den Gefallen thun, ihre Fragen an der Hand eines hübschen Buches von Marie Calm, das den TitelDie Sitten der guten Gesellschaft" (Stuttgart, I. Engelhorn) führt, kurz zu beantworten. Der vorsorglichen und etwas ehrgeizigen Braut giebt Marie Calm den Trost, daß die Braut in den meisten Gegenden bei der Trauung an der rechten Seite des Bräutigams stehe; eine feste allgemeiugültige Regel aber giebt es nicht, und man thut deshalb gut, sich vorher nach den: besonderen Brauch der Gegend an geeigneter Stelle am besten vielleicht bei dem Geistlichen, der die Trauung vollziehen soll zu er­kundigen. Der Spargelfreund mag sich beruhigen: die Sitte erlaubt es allerdings, die köstlichen Stangen mit den Fingern zu essen. Der Gebrauch stammt aus England, wo man die langen dünnen Spargeln nicht ißt, sondern nur aussaugt. Unsere dicken, fleischigen Brannschweiger Spargeln, die man wirklich verspeist, gestatten auch die Benutzung der Gabel und selbst des Messers. Diech,Dienstmädchenfrage" löst unsere Beratherin mit der energischen Erklärung:Die Herrin wird das Mädchen mit ,S:e^ anreden und nicht mit dem,TM, das noch in vielen Häusern Sitte ist und welches, da das frühere familienhafte Verhältniß nicht mehr damit ver­bunden ist, das Mädchen unter die Bettlerin stellt, die uns um ein Almosen anspricht und die wir doch ,S:e' nennen."

Wir möchten glauben, daß selbst gesellschaftlich Bewanderte noch manches Belehrende in dem anziehend geschriebenen Buche finden dürften, wenngleich Takt und Erfahrung bei älteren Personen die Theorie ja viel­fach grau erscheinen lassen. Vor allen: aber möge das junge Volk, das eben erst in die Gesellschaft eingetreten ist oder eingeführt werden soll, sich die Rathschläge einer erfahrenen und feinfühligen Dame gefallen lassen; es führt dabei nur gut, lernt manches, was es noch gar nicht näher be­achtet hat, und spart das Porto für umständliche Briefe an die gefälligen, aber auch recht viel beschäftigten Redaktionen! **

.Schloß Kronöorg. (Zu dem Bilde S. 629.) Bei der dänischen Stadt Helsingör, an der Stelle, wo der Sund am schmälsten ist und die Küsten von Seeland und Schweden bis aus vier Kilometer einander sich nähern, liegt das stolze Schloß, das unsere Abbildung dem Leser zeigt. Vor mehr als WO Jahren, 1577 bis 1585, von König Friedrich II. er­baut und stark befestigt, diente es lange Zeit dazu, die Erhebung des Sundzolls mit seinen Kanonen zu unterstützen und einem etwaigen Gegner die Durchfahrt zu versperren. Heute freilich ist das Schloß als Festung ohne Bedeutung, und der Sundzoll, der in früheren Jahren für Däne­mark rund 71/2 Millionen Mark abwarf, ist 1857 um das hübsche ein­malige Sümmchen von annähernd 70 Millionen Mark abgelöst worden. So ist dasSchloß am Meere" zur prosaischen Kaserne geworden und nur die geschichtliche Erinnerung und schattenhafte Sagen erhalten ihm einen Schein seiner einstigen Bedeutung. Auf derTerrasse vor dem Schlosse bei Helsingör" läßt Shakespeare den Geist des ermordeten Dänen­königs vor seinem Sohne Hamlet erscheinen und tief unten in den Kase­matten sitzt Holger Danske, Dänemarks Schutzgeist, von dem Andersen uns erzählt und der hervortreten wird, wenn das Vaterland in Gefahr schwebt. Dem Reisenden aber, der heute Kronborg besucht, dem zeigt der Kastellan wohl auch die Zimmer, in denen die unglückliche Königin Karoline Mathilde, Christians VII. Gemahlin, gefangen saß, weil sie des sträflichen Einverständnisses mit dem Arzte und Kabinettsminister Struensee bezichtigt ward.

Es sind keine freundlichen Bilder, welche Geschichte und Sage aus Kronborgs Mauern hervorzaubern. Wer aber von ihren Schauern sich erholen will, der steige hinauf auf das Platte Dach des südwestlichen Schloßthurms: da wird ihn die prachtvolle Aussicht über den Sund und hinüber nach der schwedischen Küste, wie landeinwärts über Seeland hin­weg wieder erfrischen und das bewegte Treiben auf See zurückführen in die lebenswarme und lebensfrohe Gegenwart.

Der Ghrenthurm für Kriedrich Arööel auf dem Kirchberg bei Oberweißbach in Thüringen, dessen Bau derThüringer Waldverein" in die Hand genommen und zu dessen Förderung auch dieGartenlaube" ihre Stimme erhoben hatte (vgl. Jahrgang 1887, Nr. 48), ist nunmehr fertig gestellt und am 27. Juli feierlich eingeweiht worden. Der Thurm

ist massiv aus Bruchsteinen ausgeführt, von rechteckiger Grundform, Unten mit einem zweistöckigen Anbau nach Osten, der Kellerraum und Schutz­zimmer bietet. Auf 181 ,2 Meter Höhe krönt den Steinbau ein hölzerner Aufsatz, welcher ein auf allen Seiten mit Fenstern versehenes, geschlossenes und doch die Aussicht in keinerlei Weise behinderndes Zimmer bildet. Ueber den: Eingang zum Thurme aber ist ein Medaillonbildniß Friedrich Fröbels in die Mauer eingelassen, ein Werk des Bildhauers Hercher in Rudolstadt, während der Thurm selbst von dem Architekten C. Radi in Rudolstadt entworfen und ausgeführt worden ist. Welch schöne und be­herrschende Lage der Thurm hat, davon kann sich der Leser am bestev eine Vorstellung machen, wenn er den Jahrgang 1887 zur Hand nimm! und dort das Bildchen S. 796 betrachtet. Es zeigt ihm das Pfarrhaus von Oberweißbach, die Geburtsstätte des Vaters der Kindergärten, und darüber emporragend den Berg, welchen Fröbel so gern erstieg, sich vor seiner Kuppe aus am Anblick der aufgehenden Sonne oder an der köst­lichen Fernsicht zu laben. "

AemGartenkaube-Kakender" von 1891 auf den Weg. Sie Haber eigentlich etwas Grausames, diese Kalender, die das neue Jahr vor um heraufsühren, ehe noch das alte hinuntergesunken, die gleichsam einer neuen Rock vor uns ausbreiten, den man sich anziehen soll, eh noch de: alte abgetragen ist. Ich muß gesteheu, ich betrachte den jeweils neuer Gartenlaube-Kalender", der nun seit Jahren regelmäßig so im August au meinem Schreibtisch sich einfindet, immer zuerst mit gemischten Gefühlen Sapperment da liegt er schon wieder vor Dir, der Bote des neue: Jahres, und Du wolltest doch noch so viel thun in: alten und dam schwirrt mir der Kopf vor der Menge von Unterlassungssünden und halb fertigen Leistungen, die mir alle auf einmal einfallen, wenn ich das rothi Bändchen »mit seinem golden leuchtenden Titel und der ich weiß nicht ist es richtig so oder nur schmerzhafte Einbildung besonders deutliä leuchtenden goldenen Jahreszahl sehe, die immer um eins größer wird Und fast mit Widerstreben gingen auch diesmal die Finger daran, de: Deckel aufzuschlagen und etwas in dem Büchlein zu blättern. Mittler weile ist mir aber doch die Erinnerung lebendig geworden, daß ich dm vorige Jahr auch so dasaß und blätterte und in Gedanken eine Ar Selbstparade abhielt, und daß ich dabei unversehens ins Lesen gerathei war ich hatte mich, ehe ich mir's selber recht bewußt geworden war so inOnkel Leos Verlobungsring" vertieft, daß darüber der Ankläge in meinem Inneren ganz stille wurde, weil niemaud mehr da war, der ihn zuhörte. Mit merklich geglätteten Stirnfalten betrachte ich schon auch de: Einundneunziger"; er wird mir ja wohl ähnlich angenehme Stündche: gewähren, wie sein nicht minder kritisch angenommener Vorfahre. Un richtig, während ich so die Blätter Ämter dem Daumen vor meiner Gesicht voMbersausen lasse und bald ein hübsches Bildchen, bald ein brauchbare Notiz eutdecke, da fällt mir auf einmal der alt vertraute Nam Heimburg ins Auge: er steht unter derselben Ueberschrift, der ich vor vorigen Jahre her ein so freundliches Gedenken bewahre:Aus meine vier Pfählen". Und ich lese und lese fort dasFlickdorchen" de Heimburg und die anderen Erzählungen von Hans Arnold und Joachi: Dürow, merke mir auch manchen Artikel zum Späterlesen denn es I spät geworden inzwischen dann klappe ich das rothe Büchlein zu, un merkwürdig: die jüngst noch so vorwurfsvoll leuchtende Jahreszahl 189 hat ihre Schrecken für mich vollständig verloren; nicht mehr grämlich un mißtrauisch, sondern mit behaglichen: Vergnügen betrachte ich den frühe Boten eines neuen Jahrganges ich war in ausgezeichneter Stimmung Nun denn, was derGartenlaube-Kalender" an mir gethan hat, da möge er an Tausenden bewähren! Und somit sei ihm ein herzlichGlü auf!" mitgegeben auf seinen Weg'! H. E.

Klemer Briefkasten.

Inhalt : Sonnenwende. Roman von Marie Bernhard (3. Fortsetzung). S. 629. Schloß Kronborg. S. 629. Bild. Die Gänsewiese. Bild. S. 632 u. 633. Ko Peters. Mit Bildniß. S. 635. Lindenberg und seine Strohhutindustrie. S. 636. Mit Abbildungen S. 636, 63".' u. 638. Heiße Tage. Erinnerungen aus der Schlacht bei Noissevi am 31. August 1870. S. 639. Der erste Schritt. Bild. S. 641. Ein Mann. Roman von Hermann Heiberg (11. Fortsetzung). S. 643. Merkwürdiger Fall. Bild. S. 645. Blätter und Blüthen: Die Sitten der guten Gesellschaft. S. 647. Schloß Kronborg. (Zu dem Bilde S. 629). S. 648. Der Ehrenthurm für Friedrich Fröbel. S. 648. De Gartenlaube-Kalender" von 1891 auf den Weg. S. 648. Kleiner Briefkasten. S. 648.

Wicht zu übersehen!

Mit nächster Nummer schließt das dritte Quartal dieses (Jahrgangs unserer Zeitschrift. Wir ersuchen daher di geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das vierte Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.

Die 'Nostabormenten machen wir noch besonders auf eine Verordnung des kaiserlichen Reichspostamts aufmerksam laut welcher der Preis bei Bestellungen, welche nach WegMN des WerteHahrs aufgegeben werden, sich pro Buarta um fO Pfennig erhöht (das Exemplar kostet also in diesem Falle f Mark 70 Pfennig statt f Mark 60 Pfennig).

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Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil's Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.