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„Ich freue mich, Sie in so guter Stimmung zu finden," sagte er, ihren Gruß erwidernd. „Man sieht, Sie haben fröhliche Gedanken, ich beneide Sie darum. Schade daß wir nicht tauschen können!"
„Ihre Voraussetzungen bezüglich meiner Laune treffen zu, Herr Graf," erwiderte sie ihm, den heiteren Ton des Gesprächs trotz seiner nachdenklichen Miene festhaltend. „Das kommt wohl davon, daß ich nicht wie Mama und Dina, die heute etwas angegriffen aussehen, auf dem Ball beim Präsidenten gewesen bin. Sollte die Nachwirkung dieses großen Ereignisses auch auf Ihr Gemüth einen Schatten geworfen haben? Oder was sonst veranlaßt Sie zu dem Wunsch, mit mir tauschen zu können? Uebrigens ein Gedankenaustausch gehört ja keineswegs ins Gebiet der Unmöglichkeiten, und wenn ich Ihnen damit einigen Trost spenden kann, soll mich's freuen. Was bedrückt Sie, Herr Graf? Darf man's wissen?"
„Ja," bestätigte Snarre. in schier kläglichem Ton, „es sind die Nachwirkungen vieler anderer aufregender Dinge, nicht nur des gestrigen Balls, die mich bedrücken. Kennen Sie, gnädige Frau, jenes Gefühl des Unbefriedigtseins, jenen Drang nach einem Etwas, das unsere Gedanken trotz aller Gegenwehr ausschließlich in Anspruch nimmt, sie bald in die Hellen Farben der Hoffnung, bald in die düsteren des Verzagens, der Unsicherheit, 'ja selbst des Grams taucht und uns in diesem raschen Wechsel von Stimmungen und Empfindungen der Fähigkeit eines kühnen Entschlusses völlig beraubt?"
„O ja, ja; ich kenne ihn, diesen Zustand!" flüsterte Susanne, über deren Gesicht bei des Grafen Worten ein Schatten der Weh- muth geflogen war, mehr für sich, als in Erwiderung auf seine Rede. Zum Glück hatte der Graf, der den Kopf gesenkt hielt und seinen Gedanken nachhing, nichts davon gehört. Susanne fand Zeit, ihre Gemüthsbewegung zu beherrschen, und in den früheren Ton zurückfallend, erwiderte sie nun laut: „Ein Zustand, wie Sie ihn schildern, Herr Graf, ist nur wohl, wenn ich nicht irre, aus Büchern bekannt, ich bezweifle aber doch, ob die Bezeichnung, die er dort findet, auch für Ihre Gemüthsstimmung paßt. Nein, nein, ich täusche mich-wohl, Sie sind nicht verliebt, Herr Graf, Sie haben nur, wie Dina sagt, zu viele weiche Bettkissen, daran scheuern Sie sich die Gedanken wund."
Snsanne lachte bei den Schlußworten.
„Aus Ihrem Lachen," bemerkte er etwas gereizt, „schließe ich, daß Sie Fräulein Dina beistimmen. Es scheint bei Ihnen allen ein unantastbares Evangelium, daß es mir zu gut geht und daß ich deshalb Verdruß empfinde. Sie glauben doch sicher nicht, Frau Gräfin, daß äußeres Wohlleben alles ist, dessen der Mensch bedarf?- Seltsam, die Wohlhabenden erfreuen sich niemals der Theilnahme ihrer Mitmenschen, ihre körperlichen und geistigen Schmerzen sind belanglos. Sie haben ja Geld! Das ist die ausreichende Arzenei für alle Leiden, körperliche und geistige. Aber kommen wir einmal zur Sache, gnädigste Gräfin! Ich habe sehr das Bedürfniß, Ihnen mein Herz auszuschütten."
„Bitte, sprechen Sie, Herr Graf!" entgegnete Susanne, deren Gesicht einen ernsten Ausdruck angenommen hatte. „Was immer es auch sei" — sie betonte ihre Worte merklich, — „seien Sie überzeugt, daß ich es in dem von Ihnen gewünschten Sinne auffasse'"
„Wohl!" sagte Snarre, rückte ein wenig näher und faßte Susannens Hand, die sie ihm mit einer leichten Verlegenheit ließ, „ich möchte von Ihnen hören, ob Sie glauben, daß Fräulein Dina mich liebt, und ob Sie meinen, — beachten Sie wohl, — daß sie in diesem Fall mit mir glücklich werden würde?"
„Wie seltsam, daß Sie diese letzte Frage hinzufügen, Herr Graf!" entgegnete Susanne, ohne über die Eröffnung eine sonderliche Überraschung Zu zeigen. „Sie scheint mir schwerer zu
! beantworten als die erste, die ich unter Umständen bejahen möchte.
Sie sind beide sehr verschieden. Dina ist gut bürgerlich geartet,
! ich wähle absichtlich diesen Ausdruck; Sie, Herr Graf, sehen eiu- ^ mal — es ist dies das natürliche Ergebniß Ihrer Erziehung ! und Ihrer gesellschaftlichen Stellung — alles in einem — verzeihen Sie -—- etwas einseitigen Lichte an."
! „ Gerade weil Fräulein Dina mir stets denselben Vorwurf macht,
j der Mensch doch aber nicht über seinen eigenen Schatten springen ^ kann, kommen mir Bedenken," erwiderte Snarre. „Aber glauben ! Sie mir, der bürgerliche Hochmuth ist nicht weniger groß als der ^ unsrige, und doch erscheint er den Leuten als etwas vollkommen ! Berechtigtes. Manche treten schon von vornherein dem Adeligen ^ mit steifer Kopfhaltung entgegen. Weshalb? Sie sagen, Du trägst ^ ein .vom vor Deinem Namen, aber ich bin doch besser als Du!"
I „Ich kann Ihnen darin nicht ganz Unrecht geben und finde , dies auch tadelnswerth, obwohl der erste Anlaß dazu doch wohl ! von der anderen Seite ausgegangen ist. Es sind die bösen Beispiele, die hier die guten Sitten verdarben."
Snarre sprang voll dem Thema ab, er wußte, er würde Susanne nicht überzeugen, auch wünschte er, nicht allzuweit von seinem Ziele abzuschweifen, obgleich er im Grunde recht enttäuscht ^ war, daß Susanne die Frage einer Heirath zwischen ihm und . ihrer Schwester so überaus gelassen ausgenommen hatte. Es entging seiner Empfindlichkeit nicht, daß sie die Ehre einer solchen ^ Verbindung für eine gegenseitige schätzte, ohne im geringsten seine ! hohe Geburt und die geopferten Ueberlieferungen seines Hauses j dabei in Betracht zu ziehen. Doch überwand er rasch diesen Rück- ^ fall in alte, eben gerügte Vorurtheile und sagte ganz unbefangen:
! , „Und was ist nun Ihre Meinung in der Hauptfrage? ^ Glauben Sie, daß ich das liebe, kleine Mädchen fragen darf, ohne ^ einen Korb zu gewärtigen?"
Susanna reichte ihm die Hand. „Sie sind besser, als Sie sich manchmal den Anschein geben, es zu sein. Wenn es Ihnen ; recht ist, will ich im Vertrauen mit Dina sprechen. Dieses Ali ^ erbieten schon sagt Ihnen, wie sehr die Erfüllung Ihrer Wünsche ' den weinigen entspricht."
! „Nehmen Sie aufrichtigen Dank, gnädigste Gräfin," rief ! Snarre freudig erleichtert. „Ich sehe Ihr Anerbieten als ein großes Geschenk an, das ich Ihnen nie werde vergelteil können.
^ Und Fräulein Dina glücklich zu machell, ist mein redlicher Wunsch.
Ich leugne nicht, daß sie einen guten Einfluß auf mich iibt, jeder . Mensch hat eine Doppelnatur. Ich erkenne die meine, das ist schon etwas. In meiner Jugend ließ mall mich eben immer nur ! in einen einzigen Spiegel schauen, und da sah ich allein mich ! selbst, die Welt gruppirte sich um mich, nicht ich war ein Theil ! des Ganzen. Daß dem in Wirklichkeit nicht so ist, davon habe ! ich bei meiner jüngsten geschäftlichen Unternehmung täglich Ge- ! legenheit, mich in einer Weise zu überzeugen, die mir das Leben nicht gerade erheitert und einen Ausbruch schlechter Laune ge- ^ legentlich wohl verzeihlich macht. Well ist nicht mein Mann, ich ^ habe das gleich erkannt, und nur aus Rücksicht auf seinen Schwager und seine Frau habe ich ihm die Stellung gegeben. Aber es geht nicht länger so, am liebsten wäre ich ihn mit sammt den Werken los. Ja, wenn Tromholt noch da wäre!"-
Snarre schwieg plötzlich. Es war das erste Mal, daß Trom holts Name von ihm genannt wurde, und die schmerzliche Wirkling, die er auf Susanne hervorbrachte, konnte ihm nicht entgehen.
„Doch wozu jetzt von Geschäften reden!" fuhr er daher in raschem Uebergaug fort; „also es bleibt dabei, liebe Frau Gräfin, Sie legen ein gutes Wort für den bösen Aristokraten bei der kleinen Bürgerill ein?"
„Gewiß, ich halte Wort, Herr Graf. Sie hören bald voll mir," entgegnete Susanne und in ihren Mienen kam die Herzlich keit ihrer Gesinnung zum Ausdruck. (Schluß folgt.)
WELLer und Wbutken.
Die Sitten der guten Gesellschaft sind nicht immer so einfach, daß es für jemand, der'noch nicht Gelegenheit hatte, gesellschaftliche Erfahrungen zu fammeln, stets leicht wäre, das Richtige zu. treffen. Bei den verschiedenen Völkern und in den verschiedenen Ländern weichen die bei den gleichen Gelegenheiten üblichen Bräuche und Formen oft weit von einander ab, ja Verkehren sich in das gerade Gegentheil — und nicht j einmal eine Wanderung in die Fremde braucht man anzutreten: im eigenen j Vaterlande find nach der Eigenart der Stämme und Gegenden die ge- j
felsigen Formen grundverschieden, ja sie ändern sich vielfach schon, wenn man aus den Städten nur in die benachbarten Orte kommt. Da giebt es denn gerade für diejenigen, die am eifrigsten bemüht find, Verstöße gegen das Uebliche zu vermeiden, der Sorgen genug, und die Redaktions- Korrespondenz der „Gartenlaube" könnte von ergötzlicheil Verlegenheiten berichten.
Eine junge glückliche Braut fragte elf Monate vor ihrer Hochzeit an, welchen Platz an der Seite ihres Bräutigams sie bei der Trauung