Heft 
(1890) 38
Seite
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sei. Du weißt, meine Herzeusfreundin, daß solches Wetter die Seele freudig stimmt und daß man Flügel nehmen möchte, um in die schöne Welt hinaus zu fliegen, wenn das bei den vor­handenen Jagdrevieren nicht gar zu gefährlich wäre. Als Trappe oder sonst ein großes, seltenes Thier herabgeschossen zu werden, erkläre ich nun eigentlich nicht für das Endziel meiner Wünsche. Nein, ganz gewiß nicht. Also, wie gesagt, die Sonne hat sich wundervoll herausgeputzt und macht mir Freude, und in dieser gehobenen Stimmung setze ich mich auf den bekannten mit dem bunten Papagei bestickten Schreibsessel, um endlich Deine Zeilen zu beantworten. Mein Gott, Herzenskind, wo war ich denn ei­gentlich stehen geblieben, und was wollte ich Dir doch alles erzählen? Man sollte sich Notizen machen, bevor man sich ans Briefschreiben begiebt. Niemals sollte man unterlassen, empfangene Briefe vor der Beantwortung noch einmal dnrchzulesen, um zu sehen, mit welchen Gegenäußerungen man den Briefschreiber er­folgreich ärgern oder entzücken kann. Sodann wäre zu berichten über eigenes inneres und äußeres Dasein, also über Hoffnungen, Freude, Schmerz, Liebe, Zahnweh, Halsweh und Freundschaft. Ferner über Bälle, drückende Stiefel, langweilige Visiten, anziehende Bücher, Klavierspiel und Dienstbotenverdruß. Bei Liebe und Freundschaft, gute Jngeborg, fällt mir ein, daß Graf Snarre noch immer hier ist und mich in unerlaubter Weise verzieht. Daß ich öffentliches Aergerniß errege, ist sicher, ich sehe bereits manches Fräulein mit neidgelbem Angesicht an mir vorüberschreiten, ihr Gruß ist steif und herablassend, als sei ich in meinem Lebens­wandel höchst tadelnswerth, als sei ich ein kokettes sündiges Geschöpf, das mit vollen Segeln dem Abgrund entgegentreibt. Du fragst in Deinem letzten Brief, wie weit das lustig ernste Spiel zwischen mir und dem Grafen gediehen sei. Darauf, mein verehrtes Fräulein, kann ich Ihnen keine Antwort geben. Ich halte Snarre bei seinen vielen guten Eigenschaften, die mich zu ihm hinziehen, für veränderlich, unschlüssig und von augenblicklichen Bequemlich­keitsstimmungen recht sehr abhängig, also vielleicht ist alles doch nur Strohfeuer. Dann geht die kleine Ericius in eine stille Ecke und weint sich ans, und wenn sie sich ausgeweint hat, wird sie sich sagen: auch ein Mädchen soll sich in ernsten Lebensverhältnissen als ein Mann zeigen und so gut es geht in das Unabänderliche schicken aber, mein Herzenskind, schnell wird's mit dem Weinen nicht vorbei sein hast Du mein Bekenntniß!

Hier ist noch solch ein in Zweifeln, aber in weit schwereren Zweifeln seinen Kopf abends in das Bettkissen drückendes Ge­schöpf, es heißt Susanne, einstige Utzlar, geborene Ericius. Um Dir das deutlich zu machen, muß ich Dir eine kleine Geschichte erzählen. Also höre:

Es war einmal ein stolzes Burgfräulein, das goldene. Spangen und eine Schleppe trug, so lang wieder Schweif eines schimmernden Kometen. Aber sie batte ein launisches, hoffährtiges Gemüth und däuchte stich eine Brunhild gegenüber den Männern. Den sie mit ihrer Hand beglückte, der sollte ein Muster seiner Gattung sein, stark und weich, klug und schwärmerisch, stolz und unterwürfig, vornehm von Stand und doch schlicht bürgerlich in seinem Auf­treten, kurz ein Mann, der die verschiedensten Eigenschaften in sich vereinigte. Sie sah Wohl ein, daß ein solcher, wie ihr Herz ihn begehrte, wie sie allein ihn ihrer werth hielt, auf dieser Erde schwer zu finden sein dürfte, ja nach und nach hatte sich der Gedanke in ihr festgesetzt, daß es kaum möglich sei, ihn zu finden.

Und als nun der Richtige, der, welcher ihrem Ideal, soweit es eben menschenmöglich war, entsprach und wenigstens die hervor­ragendsten dieser Eigenschaften in sich vereinte, wie durch eine höhere Schickung Plötzlich vor ihr stand und zu ihr sprach: ,Jch liebe Dich, werde mein Weibll da wollte sie's nicht zugeben, daß er der Rechte sei, und eben weil ihr Herz sie im stillen schon zu ihm hinzog und sie fühlte, daß er bereits eine Macht über sie erlangt hatte, sträubte sich ihr trotziger Sinn gegen solchen Zwang und sie wies ihn zurück.

Nach Jahren aber, da sie noch immer im stillen jenes Mannes gedachte und sich mit aller Macht gegen den Gedanken wehrte, der ihr oft wie ein heimlicher Vorwurf vor die Seele trat, kam ein anderer, der von den vorerwähnten Eigenschaften keine oder doch nur die eine, nebensächliche, der vornehmen Geburt be­saß. Wie der nun vor sie hintrat und mit falscher, berückender Stimme dasselbe, nur in anderer blumenreicherer Rede sprach, da obwohl oder gerade weil alle, die es gut mit ihr meinten,

sie warnten, und auch weil sie glaubte, des ihrem Stolz so Pein­lichen Gedankens an jenen ersten Freier damit am schnellsten ledig zu werden, da sagte sie ,J(L und nahm ihn.

Aber es zeigte sich bald, daß sie eine Perle gegen einen Kiesel, einen nichtigen, nur äußerlich und sehr oberflächlich geschliffe­nen Kiesel hingegebeu hatte, und sie warf auch den Kiesel wieder weg. Da erkannte sie erst recht den Werth jener Perle, die zwar nicht aufdringlich an Glanz, aber doch ein echtes, kostbares Kleinod war, und einen Augenblick hoffte sie auch jetzt noch, jene wieder erringen zu können. Allein es war ein schöner Wahn. . Der Mann, den sie damals verschmäht hatte, war gerade so stolz, wie sie selbst es gewesen, seine Liebe war erloschen, und ihre Reue kam zu spät. Seit sie das erkannt hat, will sie von den Männern, die sich noch immer um ihre Gunst bewerben, nichts mehr wissen und verzehrt sich in heißer, ohnmächtiger Sehnsuchtsqual nach dem einen, den sie für immer verloren. Für immer! Sie kann es noch nicht ganz fassen, und es giebt Augenblicke, wo sie beim leisesten Geräusch zusammenfährt und zittert und meint, er müsse es sein, der da komme und vor sie hintrete, um ihr das zu wieder­holen, was er ihr damals gesagt o wie ganz anders würde sie ihm jetzt antworten! oder wo sie roth und blaß wird und ihre Augen leuchten, wenn der Postbote einen Brief bringt und sie glaubt, er komme von ihm, während er doch von Dir kommt, meine süße Jngeborg, und kein Sterbenswörtchen von ihm enthält. Ich glaube, manchmal ist sie sogar ein bißchen eifersüchtig auf Dich, mein liebes Herz. Aber siehst Du, so geht es den Burg­fräulein, wenn sie zu stolz sind. Es ist eine recht traurige Ge­schichte, und sie thut mir herzlich leid, die arme jetzt hätt' ich bald ihren Namen verrathen, und es ist doch nur ein Märchen, was ich Dir da erzählt habe. Aber nun zu etwas Lustigerem-"

Tromholt las nicht weiter, eine heiße Blutwelle drängte^ ihm gegen das Auge und ließ die zierlichen Schriftzüge zu einem wirren Bilde verschwimmen, sein Herz schlug mächtig, er mußte die Hand, die den Brief hielt, darauf pressen, und ein Rausch des Glücks kam über ihn, ein Gefühl, wie en es nie in seinem Leben empfunden hatte, der späte Lohn für die Qual langer Jahre Er schämte sich dessen fast im Anblick der Todten, die mit ven klärtem, friedlichem Gesichtsausdruck dalag, als theilte sie auch nock dieses Glück mit ihm. Ihr hatte er es zu danken, das also wm der letzte, höchste Beweis ihrer Liebe, die sie im Tod noch sin ihn bekundete. Tromholt drückte einen Kuß aus die kalte, starr' Hand und benetzte sie mit seinen Thränen, Thränen des Glücke und der Trauer, den ersten, die er seit lange geweint.

18 .

Am Tage nach dem Ball beim Oberpräsidenten traf Snarre als er eine Stunde vor dem Mittagessen die Ericiussche Wohnuw betrat, Frau Ericius und Dina nicht zu Hause. Der Diene berichtete, daß die beiden Damen Besuche machten, daß aber Frcu Susanne sich im Wohnzimmer befinde. Snarre kam dies nu halb gelegen. Er hatte sich inzwischen überlegt, ob er nich Susanne zur Vertrauten seiner Absichten auf Dina machen uw sie bitten sollte, die Gesinnungen ihrer Schwester in diese Richtung näher zu erforschen. Aber dann war ihm aufs Herz gefaller daß etwas Unzartes darin liegen könnte, gerade diejenige, der e einst selbst ziemlich deutlich gleiche Absichten in Bezug auf ihre Perso zu erkennen gegeben hatte, in dieser Sache um Rath zu fragen.

Bei diesen Zweifeln wäre es ihm eigentlich lieber geweser der Zufall hätte die Dinge weiter gelenkt. Es ging ihm wi allen schwankenden Menschen, sie möchten gern etwas erreiche und gelangen doch zu keinem Handeln. Endlich entschloß er sick bei Susannen einzutreten, statt sich, wie er einen Augenblick w wogen hatte, in den Garten zu begeben und Dinas Rückkun dort zu erwarten.

Susanne saß auf ihrem gewohnten Platz am Fenster. D( Zug schmerzlichen Entsagens, den Snarre in letzter Zeit so o auf ihrem Antlitz bemerkt hatte, war einer freundlichen Milt gewichen, das eindringende Morgenlicht verlieh dem sonst bleiche Gesicht eine frischere Farbe und von dem Hellen Hintergruo hoben sich die Formen ihrer Gestalt in gereifter Schönheit a Es ist etwas Madonnenhaftes an ihr," dachte Snarre, als s ihm freundlich lächelnd Guten Morgen bot und ihn mit eiw Gebärde voll ruhiger Anmuth zum Sitzen einlud.