Heft 
(1890) 45
Seite
768
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Der Sprung im Glase.

Erzählung von Antorr Freiherrn o. PevfoU.

Alle Rechte Vorbehalten.

ieLaura" lag auf der Werst. Sie war schlimm dran, ein Engländer hatte sich im Kanal sehr ungalant gegen sie be­wiesen. Man zweifelte lange Zeit, vb man überhaupt noch im­stande sein werde, ihre alten, zerbrochenen Rippen wieder einzurichten. Aber der Reeder, der alte Christen Runghvlt, gab nicht nach, er blieb dabei, dieLaura" könne auch das Flicken vertragen. Sie war eine alte Liebe von ihm und an einem wichtigen Tage hatte sie einst ihren Namen erhalten, der ihm ein Stück von seinem Leben bedeutete. -

Christen Rnngholt war schon nicht mehr jung gewesen, als er vor zwanzig Jahren Holde Buiksloot von denHalligen" geehlicht hatte und mit ihrem Gelde- der alte Buiksloot war Besitzer von halb Oland, der fruchtbarsten der Inseln, und früher Vorsitzender des Seegerichtes für dieHalligen", das hier seit alter Zeit seinen Sitz hatte selbständiger Reeder geworden war. Um so größer war die Freude, als ihm Holde eines Tages ein echtes Nordseekind brachte, mit großen, feuchten Blauaugen, die leuchteten wie ein sonniger, freudiger Meertag. Er drückte es an seinen stachligen Seemannsbart, schob das Primchen bei Seite und gab ihm einen saftigen Kuß, darob das kleine Korallen- mündchen sich gar bitter verzog. Mötzlich fuhr er zusammen, daß Holde ängstlich nach dem Kinde griff.

Wie soll's heißen, Holde?" fragte er in einem jähen Tone, rasch - - rasch!"

Er sah sichtlich beängstigt auf die Uhr.

Holde erschrak.Aber lieber Mann, es hat ja noch Zeit bis zur Taufe!"

Es hat keine Zeit! Den Namen! Den Namen!"

Er hatte die Thürklinke schon in der Hand.

Ich dachte aber wie gesagt Laura' dachte ich"

Schon war Christen Rungholt verschwunden, er lief, was er konnte, mit seinen schiefen kurzen Beinen der Werft zu. Ein mächtiges Schiff, von Gerüsten umgeben, leuchtete von weitem in frischen, noch feuchten Farben, der taktmäßige Schlag der Hämmer zitterte melodisch klingend durch die Luft.

Christen war außer Athem.Halt! Halt! Nicht ,Oland' Laura'," schrie er von weitem.

Niemand schien ihn zu hören bei dem Getöse der Arbeit. Endlich stand er vor dem Schiffe; vorn am Bug arbeiteten zwei Männer auf einem hängenden Gerüste, unter dem Vordersteven leuchtete in Messing ein mächtigesO" in erhabener Arbeit.

Halt, sage ich!" schrie er keuchend hinauf.Laura' soll es ja heißen! Donner und Wolken, ich kann doch mein Schiff nennen, wie ich will! Runter mit dem O, sage ich - Laura'! Hört Ihr nicht?"

Kopfschüttelnd machten sich die Arbeiter daran, das O wieder abzustemmen.

Mit den verdammten Frauenzimmern!" brummte der eine von ihnen.So ein stattliches Vollschiff Laura'!" Der Matrose oben am Bugspriet spuckte verächtlich einen braunen Saft über Bord.

Einige Wochen später dampfte dieLaura" zum Hafen hinaus, vollgepfropft mit kostbarer Ladung nach Indien. Und dasverdammte Frauenzimmer" hatte Glück, zwanzig Jahre hin­durch kreuzte sie zu Christen Rungholts Ehr' und Nutz den Ocean, bis ihr vor einigen Wochen der saubere Engländer bei Nacht und Nebel in die Rippen rannte, als sie nach einer halbjährigen Ab­wesenheit keine fünfzig Seemeilen mehr von der Heimath entfernt war; und auch dabei hatte sie noch Glück gehabt, sonst läge sie wohl mit Mann und Maus auf dem Nordseegrund.

Jetzt wimmelte es um ihre breite klaffende Wunde wie von Sommerfliegen und da und dort blitzte schon eine neue Rippe aus dem dunklen Rumpfe. Die Mannschaft derLaura" war durch­aus nicht ungehalten über diesen unverhofft langen Aufenthalt am Lande, sondern nützte im Gegentheil, jeder auf seine Weise, diesen seltenen Umstand. Da wurden alte Freunde aufgesucht; die wohligen, längst entbehrten Freuden der Familie, des festen sicheren Hauses, des ungestörten Schlafes genossen. Da wurde Umschau gehalten in den Strandhäusern und Fischerhütten weit und breit und manch goldenes Luftschloß gezimmert. Die Zeit der Wahl ist kurz für den Seemann. Neue Schwüre wurden geschworen, alte, scholl fast erstorbene Hoffnungen wieder neu belebt. . .

Am besten von allen, darüber galt kein Zweifel, nützte die Zeit Bill Lührsen, der zweite Steuermann, indem er Hochzeit hielt mit eben derselben Laura, um derentwillen vor zwanzig Jahren das blitzende O herab mußte vom Schiffsbug, mit Christen Rungholts, seines eigenen Patrones, schöner blauäugiger Tochter.

Er war schon seit zwei Jahren mit ihr verlobt, und jetzt nach seiner Rückkehr von dieser westindischen Fahrt sollte die Hochzeit sein; so war es ausgemacht, und da es Christen Runghvlt einmal be­stimmt hatte, so blieb das fest wie der Leuchtthurm von Dungeneß, obwohl der Alte ein böses Gesicht machte, als er die armeLaura" in den Hafen bugsieren sah. Was konnte am Ende der zweite Steuermann dafür, der Kapitän war verantwortlich, und er, Christen Rungholt, kannte ja diese verfluchten Engländer aus eigener Er­fahrung!

In dem schmucken, durch seine Bauart und seine Reinlichkeit an Holland erinnernden Hause am Hafen von H. ging es hoch her. Christen und Holde übertrieben die Sache sogar ein bißchen, die Leute sollten nicht glauben, das Mißgeschick mit derLaura" habe ihnen die Laune verdorben, oder gar, sie gäben Bill Lührsen Schuld daran.

Von denHalligen" kamen die Vettern und Basen, wetter­gebräunte, flachshaarige Männer und Frauen in kleidsamer Tracht, unter Führung von Claus Buiksloot, dem jetzigen Seerichter auf Oland, Holdes bejahrtem Bruder, alle Rungholts von H., einige Kameraden Bills von derLaura", Lars Tönningen, der Kapitän selbst, ein wackerer altbewährter Seemann, dem der brave Christen vor allen Leuten zeigen wollte, daß er Nebel und ge­wissenlose Engländer von Fahrlässigkeit wohl zu unterscheiden wisse.

Das waren die eigentlichen Hochzeitsgäste. Abends jedoch, als Feierabend draußen im Hafen war und aus den Fenstern der großen Wohnstube unten fröhliche Tanzmusik erscholl, da pochte gar manche in der Eile etwas zurechtgestutzte, wenn auch nicht gerade festlich gekleidete Theerjacke an die Thür, um ihren Glück­wunsch mit einem so vielsagenden Blick auf das stattliche Füßchen Flensburger Bier, das in der Ecke stand, anzubringen, daß die Einladung, etwas zu verweilen und eines mitzutrinken, nie aus­blieb. Mit der Form nahm es Christen Rungholt nicht so genau, wenn er auch gar stolz auf sein Haus und seinen Wohlstand war.

In dem lauschigen, epheuumrankten Erker, von dessen dunkler Holzdecke das Modell eines stattlichen Dreimasters herabhing, saßen Christen Rungholt und sein Weib, das junge Paar, der Kapitän und der Seerichter beim Hochzeitswein. Lars Tönningen erzählte bereits zum dritten Male das Unglück mit derLaura" und wies mit dröhnender Stimme, auf die Bank steigend, an dem Schiffsmodell seine völlige Unschuld nach. Christen gab dann die Geschichte von einem anderen rücksichtslosen Engländer zum besten, selbst Claus, der Seerichter, ein ernster stiller Mann, ward lebendig, er erzählte von dem endlosen Kampfe seines kleinen Heimathlandes mit der gierigen See, in dem er ergraut war; da heulte der Sturm im Takelwerk, wälzten sich die weißköpfigen Wogen durch die Sturmnacht, ächzte, stöhnte das rollende Schiff, brüllte die Brandung das hörte sich so wohlig an in dem heimlichen Erker, unter den Klängen der Tanzmusik, beim Rhein­wein, der die rauhen Männer so weich machte, daß ihre Augen sich feuchteten bei Erzählung kühner Seemannsthat, heldenhaften Rettungswerkes.

Bill und sein junges Weib bildeten einen scharfen Gegensatz inmitten dieser ernsten, wetterharten Gesichter mit dem männlichen Trotz in den Zügen; für sie rollten keine Wogen, ballten sich keine drohenden Wolken, im Sonnenglanz junger Liebe dehnte sich das sanft gekräuselte Meer und blühende Küsten lachten ihnen entgegen. Bill spielte mit den schweren blonden Zöpfen seiner jungen Frau und sprach im Flüstertöne, nicht von kühnen Abenteuern, sondern von ganz kleinen nichtigen, kindischen Dingen, von einem Gärtchen, welches Gemüse sie bauen wollten, von Schürzen und Bändern, von seinem Lieblingsgericht, von der neuen Hauseinrichtung.

Laura hörte andächtig Zu, von seinem Arm umschlungen, und die kleinen nichtigen Dinge färbten ihre Wangen dunkelroth und feuchteten ihr blaues Meerauge wie die Erzählungen kühner See- mannsthaten und der Rheinwein die der Männer.