808
verschanzte, er sei kein Mann der Geselligkeit — eine Behaup- ! tung, die sein liebenswürdiges, formengewandtes Wesen überall, wo er sich zeigte, schlechterdings Lügen strafte. — Vornehme Herren und Damen jeden Alters fanden sich bei dem jungen Geistlichen ein, es galt durchaus nicht für ,,eliie", die Kinder in einer andern Kirche als in der zu Sankt Lukas taufen zu lassen, Präsidenten- und Geheimrathstöchter ließen sich mit Vorliebe in der alten, stilvollen Kirche trauen, und die Meldungen ! zum Konfirmandenunterricht nahmen kein Ende. Aber auch zahl- I lose Arme, Leute in derben Arbeitskitteln, Frauen mit verhärmten Gesichtern und rauhen Händen, stiegen täglich die Treppe zur § Wohnung des Herrn Predigers empor, denn sie wußten es nun ! schon genau, der Herr redete ihnen nicht nur mit geistlichem Zu- ! spruch ins Gewissen, sondern er fragte auch eingehend nach ihren Verhältnissen, ließ sich ihre Sorgen und Kümmernisse beichten und wußte es, wenn die Betreffenden es verdienten, jedesmal so einzurichten, daß sie ihn mit leichterem Herzen und schwererem Geldbeutel verließen, denn er hals gern und freudig, und, Gottlob, er konnte es auch! —
Die alte Lehmann, Reginalds dereinstige Amme, jetzt die Vorsteherin seines Haushalts, war unsagbar stolz auf ihren ehemaligen Pflegling und empfing seine Beichtkinder, hoch und ^ gering, jedesmal mit einer Würde, als habe sie Theil an ! allem guten, was ihr Herr ihnen zukommen ließ. Sie dachte ^ noch oft an die Bibel- und Andachtsstunden der verstorbenen ^ „Gnädigen", Reginalds Mutter, denen sie, die Lehmann, dereinst j als junge, blühende Frau beigewohnt hatte, ihren schöllen, blonden ^ Zögling, der so früh schon andächtig die Händchen zu falten und ; still zuzuhören verstand, auf den Knieen. Später hatte der „Junker", ! wie sie ihn nannte, neben ihr gelehnt, dann hatte er die Gebete beim Beginn und beim Schluß gesprochen, bis er schließlich die Hausandachten selbständig geleitet hatte, — immer aber hatte erbte frommen, unschuldigen Augen aus seinen Kindheitstagen behalten. Dell Titel „Junker", den die alte Lehmann ihrem Lieblinge ^ während langer Jahre gegeben hatte, konnte sie nicht vergessen —- - und es klang seltsam genug, wenn sie ihn jetzt, eingedenk seiner geistlichen Würde, mit Beharrlichkeit „Ehrwürden Herr Junker" ^ anredete.
„Ehrwürden Herr Junker" war seit einigen Wochen ein wenig verändert — so wenig, daß solche, die ihn nicht genau ! kannten, gar keinen Unterschied herausfanden . . . wer aber sollte ihn wohl besser kennen als seine alte Lehmann? Ihr ent- j ging nichts, kein zerstreutes Lächeln, keine nachdenkliche Miene, ! kein halbverzehrtes Lieblingsgericht, kein Jnsichversinken und hastiges '
Auffahren — aber sie ließ sich nichts merken; wie käme sie denn ^
dazu? Sie wußte ja auch nicht, was ihn quälte! Ein Uebermaß ^
von Arbeit konnte es nicht sein, denn ihr Herr war ja jung und !
gesund lind liebte seinen Beruf mit voller Hingebung. Vielleicht machte ! seine Stellung zu den Gefangenen ihm zu schaffen; Frau Lehmann ! wußte, daß einer darunter war, ein Dieb und Mörder, an dem ! nächstens die Todesstrafe vollzogen werden sollte — was ihr für ^ ein solches „Scheusal" ganz gerechtfertigt erschien. i
Reginald ging jetzt jeden Tag zu dem armen Sünder — „und es ist keine Kleinigkeit," sagte sich die alte Frau, „so eine rabenschwarze Teufelsseele weiß zu waschen, daß unser Herrgott sie in Gnaden ausnimmt! Daher mag er auch oft so bedenklich aussehen. Wenn nur nicht etwas anderes, vielleicht gar eine Liebe, dahinter steckt! Zwar ist es unglaublich, daß eine meinen Junker ausschlagen könnte, — meinen Junker! Da müßte sie doch gleich blind und von Sinnen sein! Er weiß vielleicht noch nicht, woran er ist! Ich Hab' wohl den Vetter Lieutenant gefragt, und der sagte wein' und ,bewahre'! Aber das ist ein leichtsinniger Vogel, der nicht immer die Wahrheit redet — dem glaub' ich einfach nicht!" -
Eine Freude aber erlebten die beiden doch, Frau Lehmann und ihr „Junker": der „leichtsinnige Vogel", der Vetter Lieutenant, kam eines Tages in glanzvoller Uniform stramm und stolz zu ihnen hereinmarschirt und stellte sich ihnen als Bräutigam vor. „Die kleine Hedwig Rainer, weißt Du, Regi, damals von Weylands her? So eine zierliche Blondine mit auffallend hübschen Angen — diese Augen haben, wie sie mir ehrlich bekannt hat, gleich beim ersten Zusammensein nach mir ausgeschaut, ich hab's ihr sofort angethan gehabt — siehst Du, was ich für'n Kerl bin! Jetzt Hab' ich das kleine Mädchen glücklich gemacht, aber so glücklich, kann ich Dir sagen! Sie hatte die Augen voller Thränen vor Freude, und meine Schwiegermama — wirklich eine angenehme Ausnahme dieser berüchtigten Sorte! >— gleichfalls. Ich solle ihr Kind glücklich machen, beschwor sie mich immer wieder — als ob ich was anderes beabsichtigte! Na, ich, als der rührselige Michel, der ich bin, bekam auch so was Dummes in die Augen bei dieser feierlichen Geschichte, — aber jetzt ist mir seelenvergnügt zu Muth, und, meine liebe Frau Lehmann, Sie holen eine von meines Vetters besten Sektflaschen aus dem Keller herauf, ich seh' es ihm am Gesicht an, er möchte mit edlem Getränk unser junges Glück begießen -— und ich bin in meiner gehobenen Stimmung nicht dafür, jemand einen Wunsch zu durchkreuzen!"
Der lustige Ulan hatte dann die alte Frau, die nicht wußte, wie ihr geschah, bei den Armen gepackt und zur Thür binaus- gewirbelt, aber „Ehrwürden Herr Junker" hatten genickt und gelacht, und so war sie in Gottes Namen in den Keller hinabgestiegen, hatte die verlangte Sorte zu den Herren ins Zimmer befördert und dem glücklichen Bräutigam wahrhaftig Bescheid thun müssen; darauf hatten die Vettern noch eine ganze Weile mit einander geplaudert und getrunken, und Reginald war gesprächiger und heiterer gewesen als seit lange. Nur, als Fritz ihm beim Abschied im Vorsaal auf die Schulter schlug und mit unvorsichtig lauter Stimme dazu rief: „Nun mach' es mir bald nach, Freundchen! Teufel auch! Vergiß, was sich nicht ändern läßt! Jst's die nicht, nun, so ist's eben eine andere!" da hatte der „Junker" mit seiner ruhig beherrschten Stimme erwidert: „Laß das ruhen, Fritz! Darüber komme ich nicht hinweg!" — und Frau Lehmann, die ihren Herrn gleich darauf an ihrer geöffneten Küchenthür vorüberschreiten sah, konnte wahrnehmen, daß die Fröhlichkeit von seinem Antlitz wie weggewischt war. — (Fortsetzung folgt.)
Eine Großthal der Wissenschaft.
Robert Koch und die Heilung der Lungenschwindsucht.
"^<cht Jahre sind es her, seit Robert Koch durch die Entdeckung des Tuberkelbacillns allgemeines Aufsehen in der medizinischen Welt erregte, und sieben Jahre sind es, seit er durch die Auffindung des Cholerabaeillns der berühmteste unter den Aerzten der Gegenwart wurde. Als seinerzeit die „Gartenlaube" im Jahrgang 1884 ihren Lesern Kenntniß gab von diesen epochemachenden Erfolgen des großen Forschers, durch welche zunächst einmal die Ursachen bisher für unheilbar geltender Krankheiten sestgestellt wurden, da hat sie ihrer festen Zuversicht Ausdruck gegeben, daß nunmehr auch die Frage der Heilung dieser Leiden ihrer Lösung sicher entgegengehe. Und diese Hoffnung ist nicht getäuscht worden. Ein gutes halbes Jahrzehnt eifrigster, gewissenhaftester, aber dabei auch von einem genialen Geiste gelenkter Forschung haben Robert Koch, den heute 47jährigen Mann, dahin geführt, das Mittel zu finden, welches den Tuberkel- ' bacillus, jenen entsetzlichen, schleichenden Zerstörer des menschlichen
Körpers, zu überwinden vermag, welches Hunderttansenden, ja Millionen das Leben zu retten, die Gesundheit wiederzugeben be^ rufen ist. Ein Segen ohne gleichen wird ausgehen von dieser wissenschaftlichen Großthat, die auf solchen Ehrentitel um so mehr Anspruch hat, als sie nicht auf einem glücklichen Zufall, wie z. B. die Schutzpockenimpfung, sondern auf planmäßigster, angestrengtester Arbeit aufgebaut ist, und es will uns scheinen, als ob sie gerade damit den Stempel der deutschen Wissenschaft trüge. Da, wo es sich um das Heil der Menschheit handelt, giebt es keine Schranken der Nationen. Ehre dem Guten, es komme, woher es komme! Aber stolz können wir Deutsche doch darauf sein, daß wir diesen Mann, der so Großes vollbracht hat, den unfern nennen dürfen, daß es ein Sohn unseres Vaterlandes ist, den alle Völker als ihren Wohlthüter verehren werden. Ein Werk der Menschenliebe, so erhaben wie selten eines, geht von dem bescheidenen Manne in der Berliner Gelehrtenflube aus, und