Heft 
(1906) 19
Seite
396
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unterrichtet waren, hatte auch Georg schamvoll manches hören müssen, das ihn empörte und doch immer wieder quälte, das seine reine Phantasie gleich einem Tropfen Gift durchfloß und nicht zur Ruhe kommen ließ. Er sehnte sich nach einem

Menschen, der ihn: die Wahrheit über diese Dinge Hütte sagen können, nach jemand, der nicht heimlich und erregt wispernd, wie jene Burschen, der klar und ruhig zu ihm geredet und ihm Klarheit gegeben hätte. Aber er hatte niemand.

Herr Gerold, ja wenn der noch gelebt hätte. . .

Georg konnte sich denken, daß er dann mit dem gesprochen hätte. Er sah das dämmernde Zimmer, in dem sie so oft zusammengewesen, wieder vor sich. Er hörte im Geist die sanfte väterliche Stimme des Toten, die Stimme, vor deren klarem, gütigem Klang jeder Zweifel weichen mußte und

jedes häßliche Gefühl. Gewiß, er konnte sich denken, daß Herr Gerold mit ihm auch über alles das gesprochen hätte, ernst und würdig und so groß und edel, daß alles Trübe ge­schwunden wäre und er sein neues Wissen empfangen hätte wie eine neue Weihe des Lebens.

Und Doktor Rieger . . .? Nein, der sprach von diesen Dingen nicht. Auf tausend Pfaden schritten seine Worte, zum Ausgange für Lehren und Erläuterung, auf Zahllose Gebiete führte ihn die Lehre der Geschichte - von solchen

Dingen aber sprach er nie zu seinen Schülern. Und Georg

nahm ein jedes Wort, das jener sprach, mit aufhorchendem Geiste in sich auf; das junge Gemüt, das so durstig und sehnsüchtig war nach allen Offenbarungen des Lebens, stillte hier sein Verlangen nach vielem und dürstete weiter nach mehr.

Zu Hause vor seiner Mutter und vor Herrn Franz Schnee­berger sprach Georg viel von dem verehrten Lehrer und von alle dem, was er sie lehrte. Frau Bang hörte ihrem Buben dann mit Spannung zu, nickte und strich ihm in liebevollem Stolz übers Haar. Was doch die Buben heutzutage alles lernen! dachte sie dabei.

Herr Schneeberger aber rückte an seiner Brille hin und her, paffte den Rauch von sich und meinte:Dieser Herr Doktor, das muß ja ein ganz wunderbarer Heiliger sein!" Wiederum Paffen und ein kurzes Räuspern.Über­haupt scheint sich der Herr nicht ganz klar zu sein, was ma'

unter ,Geschichte^ versteht. Das muß ja a guter Salat sein,

den er euch da vortragt! Da wundern sich die Leut' nach'er, wenn die Herren Buben den Kopf voll Kraut und Rüben haben! Wenn ich Direktor wär' an der Schul' . . er räusperte sich jetzt geräuschvoll und tat das Thema mit einer ausdrucksvollen Handbewegung ab.

Nun schwieg Georg, seine Mutter aber schüttelte leise

den Kopf. Daß er dem Buben jede Freud' verekeln muß!

dachte sie dabei, und sie griff nach der Hand Georgs und tätschelte sie hastig und begütigend mit ihren arbeitsharten Fingern...

Als das Pfingstfest kam, wurde Georg gefirmt.

Früher, wenn er an seine Firmung gedacht hatte, war sie ihm wie ein Fest voll Freude und Schönheit erschienen, dem er entgegenging, und immer hatten sich die Gestalten des Herrn Gerold und Sephis für ihn mit diesem Fest verknüpft. Schon vor einem Jahr, als er mit den beiden am Pfingst­sonntag ins Freie hinausgeflogen war und als sie da zusammen am Stephansplatz durch das Drängen all der Firmlinge mit ihren Paten, durch die Reihen von sauber aufgeputzten, blumengeschmückten Fiakern und Equipagen und durch die Lebzeltenstand ein kamen, als das Schreien der Dienstmänner, die vor dem Portal der Kirche die Wagennummern ausriefen, das Antworten der Kutscher, das Rufen all der Weiber, die sich mitFirmbandeln",Geweihten Kerzen",Sträußerln" undVeigerln" wortreich an jede neu ankommende Firmlings­gesellschaft drängten, das Feilschen, Lachen, Treiben, Räsonieren und Drängen zu einem einzigen Laut des Festjubels zusammen­klangen, da hatte Herr Gerold den Arm des Buben fester an sich gezogen.

Nächstes Jahr, Georg wenn's mir beschieden ist da wollen wir das auch mitmachen. Dann führ' ich dich auch da hinein in unfern alten Steffel auch deine Mutter muß dabei sein, meine Frau und die Sephi und wenn du deinen Backenstreich erst weg hast, dann suchen wir uns den feschesten Fiaker aus . . ."

Das war vor einem Jahr gewesen in der Zeit, da Herr Gerold und seine Frau sich wieder näher gefunden zu haben schienen.

Wie anders war die Wirklichkeit gekommen.

Nun schritt statt Heinrich Gerold Herr Franz Schneeberger neben Georg Bang zur Stephanskirche. Wieder wie damals wogte der Platz im tausendfältigen Treiben des Festes. Aber Georg ging es wie einem, der mit zugehaltenen Ohren in einen Tanzsaal sieht, in dem die Paare sich in zügelloser Lust zum Klingen der Musik im Tanze drehen. Er sah all die Bewegung und all diese Farben und hörte auch dieses Gewirr der Stimmen. Und doch, es drang nicht in sein Inneres ein. Als ob ihm seine Seele taub geworden wäre für alle Freude dieses Treibens, war ihm zumute. Nur die Erkenntnis, wie anders als das sehnsuchtsvolle Träumen das Leben die Erfüllung alles Wünschens so oft formt, durchwogte ihn als unklares und drückendes Gefühl. Das war kein Fest des Glückes, dem er nun mit seiner Mutter und Herrn Franz Schneeberger entgegenschritt.

Ganz unwillkürlich griff er nach der Hand der Mutter.

Sie lächelte ihm zu, und dabei merkte er in ihrem ganzen Wesen die festliche Erregung. Beinahe unruhig war sie, die sonst die klare Ruhe selber war. Und seltsam war es, wie mit dieser Festtagsfreude die Alltagssorgen in dem gütigen Gesicht stritten. Die Wangen waren leicht gerötet das ließ die müden Züge um den Mund noch mehr erkennen, die Augen aber hatten einen Schimmer angenommen, der von Erwartungsfreude und von Sorge sprach zugleich.

Sag', freust' dich, Georg?"

Er faßte ihre Hand fester und sagte nichts.

Sie aber sah ihn lange an, wie er nun in seinem neuen schwarzen Anzug mit den ersten langen Hosen neben ihr herschritt. Größer noch als sonst und schmäler kam er ihr vor. Und so etwas Gesetztes hatte er dabei gar nicht den Jubel wie die meisten anderen Firmlinge.

Ein Stäubchen saß ihm auf dem Ärmel. Da machte Frau Marie Bang ihre Hand sachte frei und streifte über den schwarzen Stoff. Ein Streicheln lag in der Bewegung, und Georg fühlte ihre Liebe. Herr Franz Schneeberger aber sah nur Fürsorge für Georgs neue Kleider, und diese hob sein Selbstbewußtsein, denn Georgs Anzug war das Firmgeschenk, das er nach reiflicher Beratung mit Frau Bang dem Buben gespendet hatte.

Erst hatte er ihm eine Uhr kaufen wollen, aber da hatte Frau Marie Bang eingeworfen, daß ja die Uhr von ihrem seligen Manne noch da wäre, die doch dem Buben ohnehin bestimmt sei. Also hatte man beschlossen, daß Herr Schnee­berger einen Anzug schenken sollte, und Herr Schneeberger hatte den gemeinsamen Entschluß mit Gründlichkeit und Gediegenheit durchgeführt. Förmlich stolz sah er nun auf Georg, der diesen Anzug trug. Das war doch noch ein G'wand", das man anschauen konnte! Kein fertig gekauftes Klüfterl, das schon in Fransen ging, wenn einer drinnen einmal niesen mußte! Das war ein Stoff wenn der

nicht an Altersschwäche starb, dann war er überhaupt nicht umzubringen. Undaufs Wachsen" eingerichtet war der Anzug auch, den mußte so ein Bub noch nach fünf oder sechs Jahren tragen können!

A Firmbandl für den jungen Herrn, Herr Göd?! Gengan S', kommen S' her, Herr Göd aber a so a feiner junger Herr!"

EinBandlweib" schwenkte ein ganzes Bündel von weißen Firmbändern vor Herrn Schneeberger, und der blieb stehen, um ihr eines davon abzunehmen. Kein's von den schmalen . . .