Zitate aus Arbeiten von E. Lämmert, W. Müller-Seidel, I. Mittenzwei oder W. Hoffmeister stark hervor. Doch später gewinnt die Arbeit an Dichte und Originalität. Das kündigt sich zum Beispiel in Ausführungen über Fontanes Aversion gegen die indirekte Rede, über die Neigung zur Stycho- mythie bei der Monologgestaltung und über die Verhaltenheit der Ironie beim späten Fontane an. Höhepunkt der Arbeit ist das Kapitel über „Satz- und Aufbau der Rede“, das auf intensiven Textstudien beruht. So heißt es gleich am Beginn dieses Kapitels: „Betrachtet man zunächst die Rede im ,Stechlin‘ oder in den ,Poggenpuhls‘, so wird deutlich, daß der Satzbau generell nicht einheitlich ist. Insgesamt bevorzugen die meisten Personen die subordinierten Sätze (durchschnittlich mit rund % Mehrheit). In ,Poggenpuhls‘ verhalten sich redende Teile und deskriptive im Verhältnis 6:4; im ,Stechlin‘ überwiegen die redenden Teile gegenüber den deskriptiven 7:3. Diese Relation steigert sich etwa in ,Mathilde Möh- ring‘ zugunsten der Rede auf 8:2 ... “ (S. 138). Das Gespräch nimmt also, abgesehen von seiner Sublimierung, im wesentlichen immer mehr zu. Die „Personen, die ihr logisch abstraktes Denken ihrer Intelligenz und ihrer Sprachschulung verdanken“ (S. 144), bedienen sich vorwiegend des subordinierten Satzes, während „unkompliziert denkende Figuren“ (S. 139) koordinierten Satzbau bevorzugen. Nun erkennt Delbruyere die Neigung zur Nebenordnung, neben dem Gebrauch von Subordination, auch bei Figuren wie dem alten Stechlin. Melusine steht nicht so hoch im Kurs. Es werden Widersprüche zwischen Figur und Redeinhalt, also Tendenzen zum Allegorischen und zur Sprachröhrenhaftigkeit aufgedeckt (S. 137). War der Koordination schon die Abwesenheit von Phrase und Geschraubtheit bescheinigt worden, so werden der subordinierenden Tendenz bei sezessionistisch geprägten Figuren sogar Anschaulichkeit und eben „Griffigkeit“ zugestanden. Das ist aber auch die unbewußte äußerste Konzession ans Gestische. Von hier aus geht es wieder zurück. Von gewissen Figuren in „griffiger“ Rede gewonnene Einsichten in das Wesen von Geschichte und Gesellschaft werden nämlich schließlich als Ausdruck „unkomplizierter Mentalität“ und Denkweise (S. 144) wieder relativiert. Auf diese Weise kann das Gestische als rhetorisch-formale Akzentuierung tiefer inhaltlicher Gerichtetheit nicht erfaßt werden. Der vor allem von Brecht systematisierte Begriff fehlt also nicht zufällig.
Verf. versucht, Fontanes Kategorien der Causerie und der „Simplizitätssprache“, der „Mit-und-Novellen“ und der „Ohne-und-Novellen“ zu objektivieren. Was sie dabei grammatisch und philologisch gewinnt, verliert sie sozial und geschichtlich. Die Sprechweisen werden meist nur oberflächlich und formal bzw. überhaupt nicht mit sozialer Determination verbunden. Das hängt auch mit objektivistischer Gesellschafts- und Geschichtsbetrachtung der Verfasserin zusammen, mit der These von „Symbiose von Adel und Bürgertum“ in Fontanes Romanen (S. 90), die zur bewußten Abgrenzung von Positionen Hans-Heinrich Reuters führt. Der Neuwert der Untersuchung liegt wohl vor allem in Beobachtungen zur Sprachstruktur, die aber nur selten auf ihre Funktion und — damit im Zusammenhang — nur selten auf den sozialen Kontext bezogen werden.
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