Nr. 2
Hier etliche Geheime Geschichten u. [unleserlich] Menschen zur beliebigen Durchsicht behufs Auffindung novellistischer Stoffe oder Motive [von Kugler durchgestrichen].
Einen Namen für das belletristische Rütli (ohne h) habe ich noch nicht. Wohl aber sind mir über Nacht alle Bedenken gegen die Titel-Aufführung mehrerer Herausgeber wieder lebendig geworden. Mein Gefühl sagt mir. daß es nicht gentil sei. Das Gefühl pflegt (nicht bloß bei Frauen) am Entschiedensten zu sein, aber seine Gründe sind nicht immer ganz leicht zu ermitteln. Vielleicht
[hier sind Passagen herausgeschnitten; Fortsetzung auf der ersten Bogenseite oben]
auch geradehin ausspricht. Wir sechs Rütlimannen wollen das Ding und sind mit Rath und That dabei: aber wir berufen Einen, den wir als Haupt hinstellen, der schließlich doch das Commandowort haben, dem schließlich doch Ehre oder Schmach des Unternehmens gebühren muß. Eine Verantwortlichkeit auf mehreren Schultern trägt sich leichter und wird gern von Einem dem Anderen zugeschoben: Einer allein nimmt sich ganz anders zusammen. Das hat auch schon Schiller von der Göttinger Gelehrten Gesellschaft gesagt und es hat bisher noch auf alle hauptlose Unternehmungen gepaßt:
Einzeln sind sie noch Alle so leidlich klug und verständig. Sind sie in corpore, gleich wird auch ein Dummkopf daraus.
Es kommt hinzu, daß das Aushängeschild mit vier Namen doch wieder nur eine Farce wäre, in dem zwei, die eben doch auch dazu gehören fehlen.
[Rückseite des abgetrennten Teils]
Ich kann also nur recht dringend wünschen, daß es bei dem ursprünglichen Entschluß bleibe: Sie haben vielleicht die Güte, den übrigen Freunden meine Bedenken, etwa heut Abend, mitzutheilen. Dem Verleger dürften die Gründe, soweit es ihm gegenüber thumlich ist, darzulegen sein; für ihn kommt auch das hinzu, daß am Ende noch keiner von uns eine literarisch entscheidende Bedeutung, wie ein Goethe, Schiller, Kleist oder selbst Geibel oder Redwitz, hat, daß schon der Name an sich ohne Weiteres wirkt; auch kann, in seinem Interesse, die Titel-Nennung der Namen jedenfalls nur dahin führen sollen, daß das Publikum überhaupt einen ersten Blick in das Buch wirft, was er aber durch andre Mittel, edle Ausstattung, ein würdiges Titelbild od. dergl., ebensogut u besser erreichen kann.
In den Contract bitte ich dabei die Aufnahme des Passus nicht zu vergessen : daß etwaige bildliche Ausstattung des Werkes der Genehmhaltung des Herausgebers zu unterwerfen ist.
And so for ever
Lessing
27/2.53.
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