Heft 
(1986) 41
Seite
261
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Ich habe Ihrer Doppelnovelle noch weiter nachgedacht und nachgefühlt. Es ist freilich im Ganzen, und zumal für die zweite Novelle, ein kitzliches und fast mißliches Thema, welches nur durch die entschiedene Kraft des moralischen Gleichgewichts genügend gelöst werden kann. Was ich an Vorschlägen zur Andeutung eines etwas mehr anderen Haushaltes für die zweite Erzählung geäußert, nehm ich zurück; gerade die Tüchtigkeit dieses Haushaltes scheint mir nothwendig, um das Unglück, welches hätte geschehen können, doppelt, stark empfinden zu lassen. Nichtsdestoweniger glaube ich aber, daß die sittliche und ästhetische Forderung der Erzählung, schon als Vorbereitung, einiges Verführende nothwendig macht.

Dies scheint mir schon in der Doppelwirkung jener verhältnißmäßig doch üppigen Existenz, in welche der schlicht erzogene junge Mensch eintritt, und in der großen Naivität des Familienverkehrs zu liegen. Das Unschul­dige in Beidem wird ohne Zweifel auf ihn schon ein wenig berauschend gewirkt haben. Dann scheint mir, um das Verhalten des jungen Mädchens bei jener verhängnißvollen Scene zu motiviren. als ein natürlich Gegebenes zu rechtfertigen, und gleichzeitig sein F 1 Verhalten zu erläutern, nothwendig, daß man schon vorher beobachtet hat, wie in ihr F 2 eine starke (freilich reine und unbewußte) Sinnlichkeit ihr Recht fordert; was freilich vom Dichter so zart, wie entschieden, zu geben ist.

Für jene Scene selbst kann ich nur auf das, was ich schon gesagt, zurück­kommen: es muß das sinnliche Moment, wenn auch in voller Reinheit (als ein natürlich Gegebenes) positiver ausgedrückt sein. Ob und was in diesen Beziehungen noch nöthig ist, kann ich nach einmaligem Hören nicht sagen; meines Erachtens wären es überall nur kleine Pinselstriche; aber die ganze Erzählung ist auch so, daß sie nur bei der ächtesten dichte­rischen wie moralischen Vollendung ihr Recht hat, dann aber allerdings auch das vollste Recht. Ich stelle dies Ihrem Ermessen anheim, wie auch die Bemerkung: daß die ganze Erzählung mit dem quasi-kindischen Vor­gang (Sie werden mich mit diesem Worte nicht mißverstehen) in ihrem Tone zeigen muß, welchen tiefsten Ernst dieses Kindische hat, der Art, daß sie selbst in der soldatischen Wachtstube ihr volles Recht gewinnt.

Für den kritischen Moment der ersten Erzählung wollen Sie erwägen, wie weit es etwa innerlich überhaupt und dem Charakter des Erzählenden angemessen ist, sich der Breite nach auszulassen, wie weit es direkt oder indirekt sich aussprechen muß etc.

Dies Alles, wie gesagt, Ihrem Ermessen. Sie werden, vielleicht nach einer kleinen Pause u anderer Beschäftigung, selbst am besten empfinden, was noch zu thun sein dürfte.

Herzlich

der Ihrige

F. Kugler

12 / 6 .

[FH-2 jeweils am linken Rand der entsprechenden Briefseite notiert:]

F 1 des Wilson

F 2 (u. allerdings auch in ihr)