Emile Augier.
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Aus der Logik der Verhältnisse und Persönlichkeiten zieht er die unabweislicheu Consequenzen, ohne Spitzfindigkeit, ohne advocatorische Schlauheit; sind diese Consequenzen auch sür den Zuschauer peinlich, wirken sie verletzend, so kann sich dieser doch nicht, wie bei Dumas' Stücken, mit einem leichten Achselzucken von denselben abwenden. Der Dichter hält ihn fest. Bei Dumas ist das Publicum immer nur der unbetheiligte Zuschauer, oder schlimmsten Falls der wenig betheiligte Zeuge einer inehr oder minder spannenden Assiseu- verhandlung; Augier dagegen erweckt bei seinem Zuschauer unter Umständen das Schuldbewußsein und bannt diesen selbst auf die Anklagebank. Dumas ist der Advocat, Augier der Ankläger und Richter in einer Person.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß dem ersteren bei dem Publicum im Allgemeinen, welches im Theater dem behaglichen Genüsse nachgeht, der dankbarere Theil gegönnt ist. Wenn trotzdem Augiers Name in Frankreich nicht nur, was als unzweifelhaft hingestellt werden muß, mit größerem Respecte genannt wird als der Dumas', sondern sich ungeachtet der weniger bequemen Persönlichkeit des Trägers desselben zum Mindesten der gleichen Beliebtheit erfreut, so ist dies vor allem rein schriftstellerischen Eigenschaften, namentlich seinem Stil, zuzuschreiben.
Augier hat sich aus den Versen, in denen seine ersten Lustspiele geschrieben sind, zur Prosa durchgearbeitet. In den letzten zwei Jahrzehnten hat er sich der gebundenen Sprache nur selten bedient. Seine Verse zeigen, obgleich sie nicht so akademisch gepflegt und säuberlich ausgeputzt sind wie etwa die von Ponsard, den man früher immer in Gemeinschaft mit Augier nannte, eine sehr bestimmt ausgeprägte Individualität. Die Sprache Augiers ist markig, breit, dabei kantig, epigrammatisch und schneidigscharf zugleich. Bei aller Rundung und Fülle fehlt es ihr keineswegs an Spitzen. Dumas als Stilist erscheint neben dem kernigen, gedrungenen Augier gar dünn und schwächlich oder auch prahlerisch aufgebauscht. Augier hat sich vornehmlich an Molitzre gebildet. Das Französisch, das Dumas schreibt, ist vielleicht die getreueste Wiedergabe der Sprache, die heut zu Tage in der guten Gesellschaft zu Paris gesprochen wird —- jener lustigen Sprache, die sich den starken Einwirkungen des Argot der Ateliers, der Cafss, der kleinen Presse freudig hingegeben hat. Es ist das modernste Französisch. Das Augier'sche ist das reinste, das von der Mode unabhängige. Dabei ist es durchaus nicht geziert oder künstlich gemacht, durchaus nicht befremdlich, sondern eben nur rein und unverfälscht. Augier beweist, daß man schlicht und natürlich in guten und richtigen Wortverbindungen alle Begriffe ausdrücken kann, ohne daß man genöthigt wäre, zu den allerdings bequemen, aber gewöhnlich recht geschmacklosen und verwerflichen Neologismen zu greifen. Augiers Sprache in Versen wie in Prosa übt daher auch auf den französischen Zuschauer einen ganz eigenthümlichen Reiz aus. Diese den Franzosen anheimelnde Besonderheit wird natürlich von dein Zuhörer, dem das Stück in einer fremden Sprache vorgeführt wird, nicht nachempfunden. Der seines heimischen Idioms beraubte Augier verliert