Heft 
(1879) 25
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Paul Lindau in Berlin.

welche die halsbrecherischen Kunststücke eines Gymnastikers verursachen, oder auch nur jenes bescheidenere Vergnügen, das die Lösung einer scharfsinnigen Charade gewährt, wird selbst durch das ungeschickte Wort nur in bescheidenem Maße beeinträchtigt. Daher sind Dumas und Sardou für das Ausland viel dankbarere Autoren als Emile Augier.

Augier strebt wie gesagt weder im Vorwurf seiner Dramen die Absonder­lichkeit an, noch bemüht er sich, Bravonrstückchen theatralischer Fingerfertigkeit zum Besten zu geben. Er ist darum nicht minder verwegen als Dumas, ist auch nicht minder geschickt als Sardou, aber seine Verwegenheit und seine Geschicklichkeit sind latenter, ruhiger, weniger vordringlich und darum auch weniger auffällig als bei den Genannten. Gerade weil er sich stärker fühlt, braucht er nicht so viel Aufhebens zu machen.

Greift er aber zu, so packt er aber auch sein Opfer wie mit eisernen Klammern. Er macht dem Parquet nicht diejenigen Concessioneu, zu denen sich Dumas in seinen kecksten Sittendramen doch noch versteht. Augier ist unversöhnlich. Er erscheint daher auch zuweilen geradezu lieblos bis zur Grausamkeit und unmenschlich. Er ladet unter Umständen das Publicum zu einem Schauspiele ein, das für dieses nicht das erhoffte Vergnügen, sondern eine wahre Folter wird. Er ist nicht so bequem wie Dumas, geschweige denn wie der vergleichsweise ganz harmlose Sardou, dem selbst in den ergreifendsten Situationen der Schalk in den Nacken schlägt. Auch Dumas kann es nicht lassen, seine Späßchen zu machen; und er wird es nicht fertig bringen, irr den Augen des ernsthaften und wahrhaft gebildeten Publicums als ein ernsthafter und überzeugender Sittenprediger zu gelten. Er ist ein geistvoller, höchst interessanter, scharfsinniger Kopf, der alles Mögliche mit allen möglichen Gründen auf seine Weise beweist, der aber niemals von der Gerechtigkeit der Sache, die er führt, durchdrungen zu sein scheint. Man folgt mit Spannung dem pikanten und klugen Plaidoyer und klatscht ihm Beifall, wenn man auch nicht mit ihm einverstanden ist. Der nicht Ueberzeugte überzeugt und über­führt uns auch nicht. Er vermag es nicht, uns in's Gewissen zu reden; wenn er unangenehm oder unbequem wird, wenden wir uns von ihn: ab, wie von einem Menschen, der uns eine Weile unterhalten hat und uns nun lästig oder langweilig wird.

Anders bei Augier. Hier haben wir auf der Stelle das ganz bestimmte Gefühl, daß wir einem Manne gegenüber stehen, dem es durchaus nicht darum zu thun ist, uns einen geistvollen Scherz vorzuführen und uns durch kühne Sprünge in der Logik zu erheitern. Dieser Mann meint es aufrichtig. Er ist nicht nur mit dem Kopfe, er ist mit dem Herzen an der Sache betheiligt. Er will nicht durch einen verblüffenden Schachzug den Gegner über­listen und abfangen; er will den Andersdenkenden gewinnen, überzeugen, und er meint, daß da die einfachsten die besten Mittel seien. Er wählt also eine schlichte Handlung, welche geeignet ist, am deutlichsten die Idee des Stückes zu verkörpern und den Charakter des Helden oder der Heldin zu erproben.