Gut und Blut. Und so laßt uns denn beten, meine Freunde, und die Gnade des Herrn noch einmal anrnfen, daß er uns die rechte Kraft leihen möge in der Stunde der Entscheidung. Das Wort des Judas Makkabäus sei unser Wort: „Das sei ferne, daß wir fliehen sollten. Ist unsere Zeit kommen, so wollen wir ritterlich sterben um unserer Brüder willen und unsere Ehre nicht lassen zu Schanden werden." Gott will kein Weltenvolk, Gott will keinen Babelthnrm, der in den Himmel ragt, und wir stehen ein für seine ewigen Ordnungen, wenn wir einstehen für uns selbst. Unser Herd, unser Land sind Heiligthümer nach dem Willen Gottes. Und seine Treue wird uns nicht lassen, wenn wir getreu sind bis in den Tod. Handeln wir, wenn die Stunde da ist, aber bis dahin harren wir in Geduld."
Er neigte sich jetzt, um in Stille das Vaterunser zu sprechen; die Orgel fiel mit feierlichen Klängen ein; die Gemeinde, sichtlich erbaut durch die Schlußworte, verließ langsam
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die Kirche. Ans den verschiedenen Schlängelwegen, die von der Kirche ins Dorf hernieder führten, schritten die Bauern und Halbbauern ihren halbverschneiten Höfen zu. Die Frauen und Mädchen folgten. Wer von der Dorfstraße aus diesem Herabsteigen zusah, dem erschloß sich ein anmuthiges Bild: der Schnee, die wendischen Trachten und die funkelnde Sonne darüber.
Die Gutsherrschaft nahm wieder ihren Weg durch die Nußbaumallee. Als sie, einbiegend, an die Hofthür kamen, stand Krist an der untersten Steinstufe und zog seinen Hut. Die silberne Borte daran war längst schwarz, die Kokarde verbogen. Berndt, als er seines Kutschers ansichtig wurde, trat an ihn heran und sagte kurz:
„Fünf Uhr Vorfahren! Den kleinen Wagen."
„Die Braunen, gnädiger Herr?"
„Nein, die Ponies."
„Zu Befehl!" Mit diesen Worten traten unsere Freunde ins Haus zurück. (Fortsetzung folgt.)
persönliche Erinnerungen aus den Jahren 1848—1859.
Zweite Abtheilung.
Vom Ministerium Brandenburg-Manteuffel bis Olmütz.
I.
Unmittelbar nach seiner Berufung befand sich das Ministerium Brandenburg-Manteusfel gewissermaßen auf dem Kriegspfade. Die Situation erhielt auch dadurch ihren charakteristischen Ausdruck, daß dasselbe im Kriegsministerium seine Wohnung aufgeschlagen hatte und sich dort unter dem Schutz von Wrangels Bajonetten bis auf weiteres in Permanenz erklärte. Es war dies in der ersten Zeit, wo die Bürgerwehr zwischen dem „Club Unruh", zu dessen Schutz sie aufgerusen war, und der neuen Ordnung der Dinge noch unentschlossen hin- und herschwankte, eine nicht überflüssige Vorsicht, zumal da das „demokratische Bürgerthum" bekanntlich die nicht gerade löbliche Eigenschaft besitzt, alsbald wieder politisch und oppositionell zu werden, sowie es sich den Rücken einigermaßen gedeckt sieht.
Ich habe damals wiederholt Gelegenheit gehabt, schon früh am Tage im Kriegsministerium zu sein, bin aber niemals so früh gekommen, daß ich die Herren nicht schon bei der Arbeit gefunden hätte. Da im Kriegsministerium alle Nachrichten zusammenliefen, und man dadurch vollkommen auf dem Laufenden war, so brach sich dort bald die Ueberzeugung Bahn, daß die Berliner Revolution weniger vom Tiger und mehr vom Affen hatte als die französische, und daß auch die Mehrzahl der sogenannten Bolksführer ganz umgängliche Leute seien, mit denen man unter vier Augen nach dem bekannten Berliner Ausdruck die Muttersprache sprechen könne.
Hierbei verwahre ich mich jedoch ausdrücklich gegen die Unterstellung, daß von einem plumpen Kaufen oder Bestechen gewisser Volkssührer die Rede sein solle. Man war glücklicherweise einsichtig genug, um zu wissen, daß man einen Parteiführer nicht kaufen kann, um gegen das Interesse und die Prinzipien seiner Partei zu agiren, da, wenn jemand sich auf ein solches Geschäft einlassen sollte, derselbe dann eben nichts mehr Werth sein würde.
Es ist deshalb auch unwahr, wenn später von verschiedenen Seiten behauptet wurde, daß das Ministerium diesen und jenen Parteiführer, und daß es namentlich den damals bei der Masse der Bevölkerung sehr einflußreichen Herrn Held bestochen oder gekauft habe. Die Dienste, welche insbesondere der letztere der Regierung leistete, waren der natürliche Ausfluß seiner eigenen Parteistellung, kraft deren er seinen Anhängern eine mehr soziale Richtung gab und die Arbeiter wiederholt und eindringlich warnte, sich nicht durch die politischen Phantasmagorien der Demokratie ködern und hintergehen zu lassen. So viel ich weiß, war es deshalb auch der Regierung durchaus nicht unbequem, den Herrn Held und seine Gesinnungsgenossen als lebendiges Eniento rnm-i der Demokratie fungiren zu sehen.
Nach Auflösung der revolutionär gewordenen preußischen
Nationalversammlung und nach Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung auf der Straße mußte es selbstverständlich als eine der ersten Aufgaben des Ministeriums erscheinen, das unterbrochene Verfassungswerk wieder aufzunehmen und auf eine oder die andere Weise zum Abschluß zu bringen. Man griff dabei zu dem, wenngleich zunächst liegenden, doch nicht gerade besten Auskunftsmittel, in der Hauptsache das Werk der beseitigten Nationalversammlung die sogenannte „Karte Waldcck" als Ausgangspunkt zu wählen.
Freilich hätte einem tieferen staatsmännischen Blicke schon damals nicht verborgen bleiben können und sollen, daß man mit jener Wahl auf einen Weg einlenke, der niemanden auf die Dauer befriedigen werde, doch lag die Theorie des falschen Konstitutionalismus wie ein ansteckendes und betäubendes Miasma in der Zuft, und hatte insbesondere die Bureaukratie und die höheren Stände in einer Weise inficirt, daß bekanntlich selbst der vereinigte Landtag, welcher doch die konservative Blüte der Nation in sich fassen sollte, den demokratischen Postulaten, und selbst der Vereidigung der Armee auf die Verfassung fast ausnahmlos (nur die Herren von Bismarck und von Thadden traten ausdrücklich dagegen auf) zugestimmt hatte. Man faßte sich damals oft unwillkürlich an den Kopf, um sich zu vergewissern, ob man selbst den Verstand verloren habe oder die verehrlichen Mitbürger.
Mag es deshalb auch richtig sein, daß zu jener Zeit die politische Aufregung nicht größer gewesen sein würde, wenn man sofort alles dasjenige aus dem Verfassungsentwurfe entfernt hätte, was mit dem monarchischen Charakter und den historischen Lebensbedingungen Preußens als unvereinbar erschien, so haben doch alle diejenigen kein Recht zu einem derartigen Vorwurf, deren zweites Wort stets war: „Nur um des Himmels willen keine Reaktion." Ueberdies hätte eine solche Pnri- fizirung vorausgesetzt, daß man im Stande gewesen wäre, mit Verständniß auf die instinktiven Postulats der Masse des Volkes einzugehen und sich insbesondere in der ländlichen und bäuerlichen Bevölkerung denjenigen Rückhalt zu schaffen, welcher unentbehrlich war, wollte man dem liberalen Bürgerthnm die angemaßte Befugniß, das „Volk" zu repräsentiren, mit Erfolg streitig machen. Der Graf Pfeil hatte nicht ganz Unrecht, wenn er damals die Behauptung aussprach, daß im Jahre t848 die höheren Schichten der Bevölkerung alle freiwillig oder gezwungen den revolutionären Ideen gehuldigt, wogegen in dem Organisationstriebe der niederen Schichten die gesunden Tendenzen, wenn auch vielfach mit revolutionärem Schlamm und Gerölle bedeckt, zum Ausdruck gelangt seien. Sprach doch sogar der bereits genannte Volkssührer Held in seinem Plakate „Meine Idee" drei Grundsätze aus, welche damals selbst die „Reaktionäre" kaum zu verlautbaren gewagt hätten, nämlich, „daß die Nationalversammlung ganz unfähig