Kurt Schreinert kam mit geringen Erwartungen ins Fontane-Archiv, galten doch die Bestände durch Kriegseinwirkung und Plünderungen am Verlagerungsort als nahezu vernichtet. Das bestätigte sogar die „Neue Zürcher Zeitung" noch am 25. März 1959. Um so überraschter zeigte er sich über die geretteten Handschriftenbestände, einschließlich der vielen Abschriften (die 1943 nicht in das Arbeiterwander heim „Rotes Luch" bei Müncheberg ausgelagert wurden und in Potsdam verblieben), die er bei uns, vorschriftsmäßig bearbeitet und durch Neuerwerbungen ergänzt, vorfand. Dem ersten Besuch in Potsdam folgten weitere zahlreiche Benutzungen an Ort und Stelle bis zu seinem Tode. Es entwickelte sich zwischen uns eine vertrauensvolle Zusammenarbeit, jedes Mal war es ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Charlotte Jolles schrieb mir unmittelbar nach seinem Tode „Sie haben einen Freund verloren". Seine Fontanekenntnisse waren enorm. Ich lernte viel von ihm. Im Archiv besitzen wir u. a. die handschriftliche Besprechung Fontanes mit Bleistift von Achim von Arnims Niederschrift „Über Volkslieder" auf 22 zerschnittenen Zetteln, deren Zusammensetzung mir Schwierigkeiten bereitete. Kurt Schreinert fügte sie mit Kennerblick in wenigen Stunden zusammen.
Kurt Schreinerts Doktoranden zitterten, so berichtete mir z. B. Herbert Knorr („Theodor Fontane und England". Göttingen 1961), wenn ihr Doktorvater nach Potsdam in das Fontane-Archiv fuhr, weil er dann stets mit neuen Forschungsergebnissen zurückkam, die seine Studenten alsdann in ihren Dissertationen auf Grund seiner „altväterlichen Sorgfaltsstrenge" berücksichtigen mußten. Er war aber, das muß hervorgehoben werden, infolge seiner humorvollen Gütigkeit und Bescheidenheit bei allen, die mit ihm zusammenarbeiteten, besonders aber bei seinen Studenten, außerordentlich beliebt.
Kurt Schreinerts Potsdamer Arbeitsfrüchte schlugen sich in zahlreichen Veröffentlichungen (s. die anschließende Bibliographie), besonders jedoch in der sogenannten Nymphenburger Fontaneausgabe, nieder. Wir gedenken in Dankbarkeit dieses gütigen Menschen und hervorragenden Fontaneforschers, der durch die Herausgabe der „Friedlaenderbriefe" unser heutiges Gesamtbild des kritischen Realisten Theodor Fontane wesentlich bestimmt und bestätigt hat. Wir können unseren Gedenkartikel nicht besser als mit der Gästebucheintragung Kurt Schreinerts vom 2. Februar 1963 schließen, weil aus ihr seine tiefe Verbundenheit mit dem Fontane-Archiv und der märkischen Landschaft hervorgeht: „Wie gern und dankbar erinnere ich mich meiner vielen schönen und produktiven Stunden im Fontane-Archiv in Potsdam und hoffe zuversichtlich auf eine häufige Wiederholung! In welche Fontaneschätze gewann ich dort Einblick und wie freundwillig wurden sie mir gereicht! Ich habe bei meinen meist mehrtägigen Besuchen im Archiv stets einen reichen Gewinn davongetragen. Dabei gedenke ich der nicht minder ergiebigen Fontanegespräche im Potsdamer Klosterkeller*, der mehrfachen Besuche im Schloß Sanssouci, der Wanderungen in die Kirche und auf den Friedhof in Bornstedt und vor allem der wundervollen Fahrt in Fontanes ruppinische Heimatlandschaft, nach Wustrau, Kloster Lindow, Karwe, nach Neuruppin und Rheinsberg und an die Ufer des Großen Stechlin, die dem Gelesenen erst die lebendige Anschauung gaben. Dem Fontane-Archiv und seinem stets hilfsbereiten Leiter dafür zu danken ist mir ein herzliches Anliegen ..."
* Der „Klosterkeller* ist eine altrenommiette Potsdamer Gaststätte.
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