Heft 
(1987) 43
Seite
481
Einzelbild herunterladen

Christa Schulze (Berlin)

Theodor Fontanes und Wilhelm Wolfsohns Begegnungen 1848/49 in Berlin (mit Briefen Fontanes aus der Frühzeit ihrer Freundschaft)

Die von uns im Aufbau-Verlag vorbereitete Neuausgabe des Fontane-Wolf- sohn-Briefwechsels gibt außer ausführlicher Kommentierung heute schwer verständlicher Stellen einleitend eine Darstellung der Beziehung der Freunde. Zwei zu gleicher Zeit in Berlin verbrachte kurze Lebensabschnitte werden dort jedoch nur gestreift. Sie sollen hier etwas ausführlicher behandelt werden. Die in Rede stehenden Wochen gemeinsamen Aufenthalts in der preußischen Haupt­stadt lassen sich nur schwer rekonstruieren, mangelt es doch, wie so oft bei der Erforschung von Fontanes Jugendjahren, an Material. Was sich mit Hilfe von Unveröffentlichtem aus dem Fontane-Archiv Potsdam und anderer Quellen ermitteln ließ, soll zur Anregung weiterer Nachforschungen in diesen Blättern vorgelegt und dabei auch Richtigstellungen von Daten vorgenommen werden. Unbekanntes über Wolfsohn, den Fontane 1841/42 in Leipzig als Freund ge­wann und der wie in der erwähnten Einleitung ausgeführt nicht geringen Einfluß auf den Jüngling nahm, wird willkommen sein.

Es geht um die Zeit der angespanntesten politischen Situation in Berlin, mit ihrem revolutionären Aufschwung der Märzereignisse und der darauffolgenden gewaltsamen Unterdrückung durch die Truppen General Wrangels. Seit Dezem­ber 1847 hatte Fontane seine letzte Apothekergehilfenstelle bei Jung Ecke König-/Georgenkirchstraße inne, von wo aus er im Mai 1848jeden Tag ins Schauspielhaus lief, um dort pro patria zu beraten." 1 Aber auch Wilhelm Wolf­sohn, dessen Domizil nach seiner Rückkehr aus Rußland im Dezember 1845 Dresden war, befand sich seit dem 16. Januar 1848 in der preußischen Haupt­stadt; er verließ sie erst nach zwei Monaten, am 25. März, nachdem er an der Bestattung der Märzgefallenen teilgenommen hatte. Eine Anfrage Wolfsohns Anfang Januar 1848, ob sein Besuch in der Unterkunft des Freundes recht sei (er hatte noch eine frühere Einladung vom Sommer 1846 im Gedächtnis, als Fontaneziemlich anständig" bei Onkel August und Tante Pinchen in der Dorotheenstraße wohnte), mußte dieser am 10. Januar 1848 mit den Worten einschränken;So freilich, wie Du Dir das ausmalst, geht es nicht; keiner ist betrübter darüber wie ich selbst. Hast Du denn aus den Leipziger und Dresdner Tagen her ganz vergessen, daß ein konditionierender Giftmischer ähnlich wohnt wie der Salzhering in der Tonne? Mein lieber Wolfsohn, so himmlisch ich es mir denke, mit Dir ein Stück Leben 'Zusammenleben zu können, so unmöglich ist es doch: ich bewohne eine Schandkneipe, einen Hundestall, eine Räuberhöhle mit noch zwei andern deutschen Jünglingen." 2 Da Fontane seit Antritt seiner Stellung bei Jung Anfang Dezember 1847 2 °ein richtiger Sklave" war, wie er im selben Brief vom 10. Januar 1848 schrieb, überließ er die Betreuung des Freundes seiner Braut Emilie, dieim besten Sinne" als seinFaktotum" waltete. Neben dem Herzenswunsch, mit dem Freund zusammenzusein, kam Wolfsohn mit der Absicht nach Berlin, seine

481