Z»taa minister Graf zu SLslöerg-Wernigerode.
Bei der Eröffnung des Reichstages trat Graf Otto zu Stolberg- Wernigerode sein Amt als Stellvertreter des Reichskanzlers und Vice- präsident des Staatsministeriums an, wir erfüllen daher nur unsere Pflicht, wenn wir sein Bild den Lesern unseres Blattes vorführen. Es ist das eine sehr angenehme Pflicht. Hat schon die feine im besten Sinne des Wortes aristokratische Erscheinung des Grafen, wie die Oppositionsblätter beweisen, auch auf seine Gegner einen tiefen Eindruck gemacht so ist sie uns doch ganz besonders lieb, denn der Graf ist allezeit ein muthiger und standhafter Bekenner unseres Christenglaubens gewesen.
Graf Stolberg ist im Staatsdienst kein Neuling und er hat sich in
Aus dem Iuölikum
allen den schwierigen Stellungen, die er nacheinander einnahm, immer als ein ebenso charaktervoller wie gemäßigter Mann erwiesen. So wurde denn seine Ernennung zum Stellvertreter des Reichskanzlers allseitig als eine glückliche und erfreuliche Wahl empfunden.
Wir bringen heute nur das Bild des Grafen in der Beilage, wir glauben aber unsere Leser zu erfreuen, wenn wir demnächst auch einen ausführlichen biographischen Artikel von berufener Hand über ihn veröffentlichen werden.
Dem Grafen selbst aber geben wir ein herzliches: Mit Gott! mit auf den neuen Lebensweg. D. N.
für das Iuökikum.
Sie müssen einen Speeialisten kommen lassen.
Sie müssen einen Speeialisten kommen lassen.
Meinen Sie, Herr Doctor?
Der Doctor blickte aufmerksam auf die Nagel seiner linken Hand, fuhr dann mit dem Daumen über sie weg, als ob sie bestaubt wären und sagte: Sie werden mir selbst zugeben, daß wir unrecht handelten, wenn wir von dem glücklichen Umstande, daß wir in einer Stadt leben, die über einen ausgezeichneten Speeialisten für Krankheiten der Gehörorgane verfügt, keinen .Gebrauch machen wollten. Herr Professor Birkhauer ist eine so ausgezeichnete Kraft und dabei eine so liebenswürdige Persönlichkeit, daß es ein Vergnügen sein muß, sich von ihm behandeln zu lassen. Ich bin überzeugt, daß Ihre Frau Tante mit ihm sehr zufrieden sein wird. Sehr.
Besten Dank. Ich werde ihn sofort her bitten lassen.
Der Doctor ging und ich begab mich zu meiner Tante. Diese wollte vom Herrn Professor durchaus nichts wissen. Ich versichere Dir, sagte sie eifrig, daß es sich um ganz gewöhnliche Ohrenschmerzen handelt und ich begreife nicht, warum der Doctor mir nicht einfach irgend ein schmerzstillendes Mittel verschreibt.
Ich bemühte mich der alten Dame auseinander zu setzen, daß wir unrecht thüten, von der Gelegenheit, einen so tüchtigen Speeialisten zu consultiren, keinen Gebrauch zu machen, betonte, daß man ja nie wissen könne, ob es sich nicht um den Anfang einer ernsteren Krankheit der Gehörorgane handele und schrieb dann an Herrn Professor Birkhauer.
Am Nachmittag kam er. Es war ein noch junger, schlanker Mann, mit einer in Gold gefaßten Brille — die er bisweilen etwas vorrückte und einem spärlichen blonden Schnurrbärtchen, an dem er mitunter zauste. Er betrachtete das kranke Ohr aufmerksam, ließ sich genau beschreiben, seit wann, wie und wo der Schmerz eingetreten war und meinte darauf: Nun, wir wollen ihn schon wegschaffen. Ich will etwas verordnen. Er theilte mir sodann, während er an meinem Schreibtisch ein Recept schrieb, mit, daß es sich zwar wahrscheinlich nur um eine vorübergehende Erkältung handele, daß andererseits aber auch eine Affection des Trommelfells nicht außerhalb des Bereiches der Möglichkeit liege. Er setzte mir, um mir einen Einblick in diese Möglichkeit zu gewähren, wie er sagte, die künstliche Organisation der Gehörorgane auseinander, empfahl mir für den Fall, daß das Schlimmste eintreten und meine Tante das Gehör auf dem einen Ohr verlieren sollte, mich als Mann und Christ in das Unvermeidliche zu fügen und ging dann.
Glücklicherweise konnte er am folgenden Tags constatiren, daß meine Tante vollständig hergestellt sei. Seyen Sie — that ich nicht gut, einen Speeialisten kommen zu lassen? fragte unser Hausarzt.
Ich unterdrückte die in mir auffteigenden Zweifel, sagte: gewiß und schickte dem Herrn Professor 40 Mark.
Nach einigen Tagen schlug das Wetter plötzlich um, ich mußte bei schneidendem Winde ohne Paletot nach Hause gehen und bezahlte das mit heftigen Halsschmerzen. Der Doctor kam, führte mich an'S Fenster, sah mir in den Hals und schüttelte dann den Kopf. Der Hals ist stark entzündet, sagte er. Ich glaube, wir thäten gut, den Rath des Herrn Sanitätsrath Schreiber zu erbitten.
Sollte das nöthig sein, Herr Doctor? Es liegt doch gewiß nur eine einfache Erkältung vor.
Der Doctor zuckte die Achseln. Bester Herr Müller, sagte er, es kann ja sein, daß es sich nur um eine Erkältung handelt, aber mit dem Halse ist nicht zu spaßen. Ich meivestheils würde es für nicht richtig halten, wenn wir die Gelegenheit, das Urtheil eines so ausgezeichneten Sachverständigen wie des Herrn Sanitätsrath Schreiber zu vernehmen, nicht benutzten.
Ich schrieb also an den Herrn Sanitütsrath. Dieser war ein stattlicher Herr mit einem respectabeln Bäuchlein und einem Fettansatz, der ihm im Nacken über den Hemdenkragen quoll. Haupthaar und Bart waren weiß, aber das Gesicht frisch und roth wie das eines Landmannes.
Guten Morgen, Herr Doctor, ries er beim Eintreten so jubelnd, als ob wir alte Freunde wären, die sich nach langer Trennung wieder sehen. Na? Ist nicht alles in Ordnung? Wo fehlt es denn? Im Halse? Na, immer heran, Männecken, wie die Köchin zum Hahn sagte, als sie ihm die Gurgel durchschnitt. Na, sperren Sie einmal den Schnabel auf. So. Thut es hier weh? Nicht? Aber hier? Auch nicht? Na, du liebes Herrgöttle von Biberach, mit dem was noch bleibt, wollen wir schon fertig werden. Hoho! Wollen wir? Nicht? Hoho.
Damit schlug er mir derb auf die Schulter und begab sich dann in mein Zimmer. Ich muß Ihnen doch sagen, wo der Hase ini Pfeffer liegt, meinte er hier, indem er vor meinem Schreibtisch Platz nahm. Und nun folgte eine Auseinandersetzung über die Schleimhäute und ihre Bedeutung für die Athmungsorgane.
Am dritten Tage war mein Hals gesund. Ja. man thut doch gut, den Speeialisten rechtzeitig holen zu lassen, meinte unser Hausarzt. Ich schwieg und schickte dem Herrn Sanitätsrath 60 Mark.
Meine Tante ist in der Regel sehr mäßig, aber ein Gericht — Erdbeeren nämlich — ist ihr über. Ich bin deshalb immer froh, wenn die Erdbeerenzeit vorüber-ist, denn da geht es selten ohne Indigestion ab. So war es auch Heuer. Der Doctor kam, schüttelte den Ko,,s und rieth, den Geheimrath
Schruller kommen zu lassen. Es herrscht viel Ruhr in der Stadt, sagte er und man kann doch nicht wissen. Der Geheimrath ist zwar ein arger Grobian, aber zugleich eine der ersten Autoritäten auf diesem Gebiet. Ich halte es übrigens für meine Pflicht, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß Sie ihm ein höheres Honorar schicken müssen als anderen. Er ist ein großes Thier.
Meine Tante wollte von dem Geheimrath nichts wissen, der Doctor hatte mich aber durch seinen Hinweis auf die Ruhrepidemie so erschreckt, daß ich nach ihm schickte. Er war ein kleiner, stämmig gebauter Mann, fast ebenso breit als hoch, jeder Zoll Muskel. Er trug einen Amerikanerbart, hielt die Hände beständig in seinen überaus tiefen Hosentaschen und hatte einen schaukelnden Gang. Er glich mit einem Wort dem Kapitän eines Wallfischfahrers so sehr, wie ein Ei dein anderen.
Als er eintrat, nickte er mir verächtlich zu und knurrte dann: Wer ist denn hier krank?
Ich erzählte nun von meiner Tante und sagte, daß ich ihn nicht belästigt hätte, wenn ich nicht durch die Nachricht von der Ruhrepidemie erschreckt worden wäre.
Ach, was Ruhrepidemie, sagte er, Unsinn. Wer sagt, daß wir eine Ruhr- epidcmie haben, ist ein Blödsinniger. Wozu erzählen Sie mir überhaupt von Ihrer Tante? Sie verstehen ja doch nichts davon. Bilden Sie sich denn, ein, daß ich auf Ihr Gerede hin eine Diagnose stellen kann? Führen Sie mich zu der Alten.
Pardon, Herr Geheimrath, rief ich mit überlaufender Galle, es handelt sich nicht uni eine „Alte," sondern um Frau Fischer, meine Tante.
Na, meinetwegen. Führen Sie mich also zu Frau Fischer.
Als wir das Krankenzimmer verließen, knurrte der Alte: Wer ist denn Ihr Hausarzt?
Doctor Stiftler.
Na, sagen Sie ihm, daß er ein Narr ist. In diesem Fall von Ruhr zu sprechen ist ein blödsinniger Unsinn. Ueberfressen hat sich die alte Frau. Lassen Sie sie ein Paar Tage im Bett bleiben und hungern, daß ihr die Schwarte knackt.
Damit ging er. Ich meinestheils schickte ihm 50 Mark md übermittelte dann seinen Ausspruch, so weit derselbe sich wiedergeben ließ, an unseren Hausarzt. Sehen Sie, sagte dieser, hatte ich nicht recht, den Geh.eimrath kommen zu lassen? Jetzt wissen wir ganz gewiß, woran wir sind.
Eine Krankheit kommt bekanntlich nie allein. Meine Tante hatte kaum das Bett verlassen, als ihr, während sie in der Küche mit einen: Laib Brod handtirte, das Messer ausglitt und ihr in den Ballen der linken Hand fuhr. Ter Doctor kan:, verband die Wunde und ineinte dann: Wir wollen nach t)r. Kuttner schicken. Es ist das ein noch junger, aber sehr bedeutender Mann, der sich neuerdings als Privatdocent an der Universität habilitirt hat. Ich weiß nicht, wie es kommt, aber in diesen: Jahr nehmen die Verwundungen leicht einen gefährlichen Verlauf.
Wir protestirten. Meine Tante laut und energisch, ich schüchtern. Aber es half nichts. So kan: denn der Herr.
Es war ein auffallend schöner junger Mann mit den schönsten, melancholischsten blauen Augen, die ich je gesehen habe, einen: überaus sympathischen Organ und den sanftesten Manieren. Er war sehr elegant gekleidet und seine Wäsche sah immer so aus, als käme sie eben aus dem Laden. Er ersuchte mich, meine Tante von seinen: Eintreffen zu benachrichtigen — damit sie nicht erschrecke — und bat mich dann, ihn der gnädigen Frau vorzustellen. Er eröffnete die Bekanntschaft mit der Mittheilung, daß in diesem Sommer alle Verwundungen einen ganz besonders glücklichen Verlauf nähmen — daß man sich gewissermaßen gratuliren könne, in einem solchen Sommer eine Verwundung erlitten zu haben — und entfernte mit der äußersten Vorsicht den Verband. Er machte dann allerdings ein sehr bedenkliches Gesicht. Er kam darauf 14 Tage lang täglich zweimal, zuletzt nur um sich zu überzeugen, „ob die Wunde denn auch wirklich ganz vernarbt sei." Ich schickte ihm schließlich 100 Mark.
Das Jahr war ein rechtes Krankenjahr. Unserer Köchin flog ein Steinchen in's Auge und dieses mußte von Herrn Professor Bierknecht behandelt werden (40 Mark); das Stubenmädchen trat sich einen Splitter in den Fuß und dieser mußte von Herrn Or. Bergmayer entfernt werden (40 Mark); eine kleine Nichte, die uns besuchte, bekam bei uns die Masern. Sie wurden von dem vorzüglichen Kinderarzt Or. Thalmüller behandelt (90 Mark).
An dem Tage, an dem ich unserem Hausarzt sein Jahreshonorar zugeschickt hatte, kam Gustav und ich klagte ihm mein Leid. Wozu, fragte ich, hat man denn einen Hausarzt, wenn man doch wegen jeden Unwohlseins zum Speeialisten schicken muß.
Nun, meinte Gustav, die Aufgabe des Hausarztes ist es ja eben, Dir anzugeben, an wen Du Dich zu wenden hast.
Meine Tante wollte davon nichts wissen. Sie behauptete, man sei bei dem alten lieben Hausarzt, der selbst behandelte, der alle Familienglieder genau kannte und ein Freund des Hauses war, ungleich besser gefahren. Wir wurden auch damals gesund, sagte sie, und man hörte nicht stets das abscheuliche: „Sie müssen einen Lpecialisten kommen lassen."
Friedrich Wilhelm Müller.