Heft 
(1987) 43
Seite
527
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Walter Hettche (München)

Über Nutzen, Notwendigkeit und Möglichkeit einer kritischen Edition der Werke Theodor Fontanes

Zu Domenico MugnolosVorarbeiten zu einer kritischen Fontane-Ausgabe"

I.

Die Diskussion über Notwendigkeit und Realisierbarkeit einer kritischen Edi­tion der Werke Theodor Fontanes hat durch Domenico Mugnolos Vorarbeiten neue, gehaltvolle Nahrung gefunden. Von der bloßen Forderung nach einer kritischen Fontane-Ausgabe, wie sie in der Vergangenheit oft geäußert wurde, unterscheidet sich Mugnolos Arbeit auf wohltuende Weise, weil sie sich nicht auf die Forderung beschränkt, sondern detailliert ausgearbeitete und an drei ausgewählten Kapiteln praktisch erprobte Vorschläge zur Apparatgestaltung und zur Textdarbietung vorlegt.

In seiner Einleitung führt Mugnolo aus, daß es einer kritischen Fontane-Aus- gabe nicht darum gehen kann, einengesicherten Text" zu erarbeiten und zu präsentieren, denn es ist davon auszugehen, daß der Autor in jedem Fall die Drucklegung seines Textes überwacht hat und daß mithin der Textstand des Vorabdrucks bzw. der ersten Buchausgabe den vom Autor so gewollten Text bietet. Aufgabe einer kritischen Fontane-Edition wäre es vielmehr, die Genese des Textes aufgrund erhaltener Entwurfshandschriften textkritisch zu rekon­struieren und im Druck darzubieten. Die Dokumentation einer solchen inneren Entwicklung der Prosatexte Fontanes ist das eigentliche Anliegen der Vor­arbeiten Mugnolos. Bevor wir uns der pragmatischen Seite dieses Editions­modells zuwenden, sollen jedoch einige grundsätzliche Probleme zur Sprache kommen.

II.

Paul Irving Anderson vertritt in seiner Auseinandersetzung mit Mugnolos Modell (vgl. Seite 516 ff. dieses Heftes) die Auffassung, eine kritische Edition der Romane Fontanes, wie sie Mugnolo vorschwebt, sei weder notwendig noch sinnvoll, weil sie zum einen nichts zu einemgesicherten Text" beitragen könne und weil zum andern der Kreis der an einer im Druck dargebotenen Textgenese Interessierten zu klein sei, um den Aufwand der Herstellung einer solchen Edition zu rechtfertigen. Während der erste Einwand die Absichten Mugnolos verkennt es geht ihm ja ausdrücklich nicht um die Erstellung eines gesicherten Textes", scheint mir Andersons Vorstellung vom möglichen Publikum einer kritischen Edition an der Realität vorbeizugehen. Anderson argumentiert, das eigentliche Publikum einer solchen Edition sei die Forschung, der man am besten durch eine Faksimilewiedergabe der Arbeitshandschriften Fontanes dienen könne. Anderson beschäftigt sich mit dem Stechlin-Manu- skript und erläutert anschaulich die außerordentlichen Schwierigkeiten, die das

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