Linksrheinisch.
Novelle
von
Kermine Wssinger.
Kapitän fuhr mit seinem Kopf aus dem Bett und warf einen ärgerlichen Blick auf die Rokoko-Uhr, die auf der Kommode stand, inmitten einer Anzahl Empiretassen.
„Hm, noch nicht sechs," brummte der alte Herr, der soeben durch ein äußerst kräftiges Lachen aus dem Schlafe geweckt worden war. Wer konnte das fein da oben, fern von der kleinen Fabrikstadt, die sich drunten im Thal zwischen Wald- und Rebbergen ausbreitete? Das Hänschen, das der Kapitän bewohnte, lag, ganz von Rauken umsponnen, dem ansehnlichen Besitztum des reichen Fabrikanten Jean Merkte gegenüber, und es war noch nie jemand von dessen Leuten eingefallen, die Morgenstille durch ein lautes Gelächter zu stören.
Mit eins fuhr der Kapitän in die Höhe: „Ui^e mon bijouU und war im nächsten Augenblick am Fenster. Welche Ueberraschung! Das kleine einstöckige Häuschen gegenüber, das der Fabrikherr für seine Schwester neben seinem Garten hatte bauen lasset:, war bewohnt; zum erstenmal seit zehn Jahren standen die Läden offen, und im Gärtchen befand sich ein Mensch in einem grauen Leinwandkittel, mit einer Hacke in der Hand, und der war's, der gelacht hatte; er lachte noch immer, und zwar über Bijou. Das Tier hatte, natürlich aus Neugier, den Kops zwischen die Gitterstäbe des Gartens gezwängt und konnte sich nun augenscheinlich aus dieser Lage nicht mehr befreien. Es schrie und zappelte, und nicht weit von ihm, auf einem Steinpfeiler des Nebengartens, saß eine große, schöne Angorakatze und sah mit funkelnden Augen der Verzweiflung des Hundes Zu. Der mit der Hacke kam heran, sprach dem winselnden Tier freundlich zu, nahm dessen Kopf zwischen die Hände, drückte ihm ein wenig die Ohren zusammen und befreite so den Hund aus seiner Lage. Die Katze, die sich für diesen Vorgang Zu interessieren schien, hatte unvorsichtigerweise ihren Posten verlassen und war ins Gärtchen gesprungen. Kanin sah sich der Hund frei, als er auch wie von Sinnen durch die offene Thür raste und sich auf die Katze stürzte. Sie hatte gerade noch Zeit, an dem im Leinwandkittel empor- Zuklettern und sich an seinen Schultern festzuklauen.
Wer war dieser Fremde, wer konnte dieser neue Nachbar sein?
Ueber Land und Meer. Jll. Okt.-Hefte. XIV. 13.
„Tröndle," erschallte dessen Stimme in diesem Augenblick nach dem Hause hin, „jagen Sie den Hund fort!"
Der Kapitän platzte mit einem Fluche heraus — ein Offiziersbursche, ein deutscher Offiziersbursche, war aus dem Hause getreten und beförderte den rabiaten Bijou ohne weiteres Zur Thür hinaus.
War das denkbar, auf dem Eigentum des Monsieur Henri Merkte ein deutscher Offizier! Gestern abend noch war er, der Kapitän, mit seinem Freunde Martelet drüben gewesen; sie hatten mit Monsieur Merkle soupiert und gespielt, und er hatte ihnen mit keinem Worte verraten, daß er sein Häuschen vermietet hatte.
Die Empörung ließ den alten Herrn nicht mehr schlafen; er läutete nach seinem Frühstück, hatte Lust, Bijou, der mit der Hausfrau kam, einen Fußtritt zu geben, brachte es aber nicht über sich, und da sein Aerger irgendwo hinaus mußte, führte er ihm die Hand zum Rasieren, so daß der alte Herr wie tättowiert aussah, als er das Haus verließ. Drüben der Offizier trat zu gleicher Zeit heraus; sein Säbel schlug klirrend gegen die Gartenthür, und Bijou sprang zutraulich an ihm empor; er grüßte den Nachbar, und der Kapitän riß mit einen: wütenden Gesichtsausdruck den Hut vom Kopf und stürmte davon. Er war ein kleiner, untersetzter Mann mit einem dicken, rötlichen Gesicht und sah trotz seines wohlgepflegten Henriquatre ganz wie ein deutscher Biedermann aus; er hieß noch obendrein Maierhuber, und dieser nicht zum Umbringen deutsche Name war der Hauptkummer seines Lebens, denn es gab keine französische Zunge, die ihn auszusprechen vermocht hätte.
Der Kapitän ging an dem schönen eisernen Gitterthor vorbei, von dem mau durch eine breite Kastanienallee zum Wohnhaus des Fabrikanten gelangte, und trat unterhalb des Gartens in den Hof.
Im ersten Stock eines länglichen Gebäudes, dessen untere Räume wirtschaftlichen Zwecken dienten, hatte der Freund, Monsieur Martelet, seine paar Zimmer.
Martelet war ebenfalls Kapitän; Monsieur Merkle hatte ihn im Jahre 1870 als schwerver- wuudeten Offizier bei sich ausgenommen und verpflegt, und seither war er als Gast im Hause geblieben.
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