Heft 
(1897) 13
Seite
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Ueber Land und Weer.

Er liebte es zwar, bei jeder Gelegenheit von seiner Abreise Zu sprechen, um die armeu Elsässer, die so froh waren, ihn Zu haben, ein wenig zu ängstigen. Im Grunde wußte er aber ganz genau, daß er drüben in Frankreich nicht halb so viel Effekt ge­macht haben würde als hier, wo man den liebens­würdigen Schwadroneur aus Händen trug.

Er lag noch im Bett, als der Kapitän bei ihm eintrat; der Franzose fuhr mit seinein völlig kahlen, ganz mit Runzeln übersäten Köpfchen aus dem Kissen:

Unglücklicher, Sie wecken mich ans meinem besten Schlaf!"

Um Ihnen zu sagen," fiel ihm der Kapitän ins Wort,daß Monsieur Merkle einen Mieter in sein Gartenhäuschen genominen hat, und daß dieser Mieter niemand anders ist als ein deutscher Offizier!"

Der kleine Franzose fuhr mit beiden Beinen zum Bett heraus:Sie träumen Sie haben gestern abend wieder Zu viel getrunken!"

Ich bitte Sie, Martelet, ich flehe Sie an, das ist nicht leicht zu nehmen, das ist eine ernste Sache

in unsrer nächsten Nachbarschaft ein deutscher Offizier, den man täglich vor Augen haben muß, um immer wieder daran erinnert Zu werden"

Er konnte nicht weiter sprechen; die Erregung schnürte ihm die Kehle zusammen.

Martelet klopfte ihm auf die Schulter:Mein armer Freund, Sie haben recht welch eine Beleidigung! Gestern abend saßen wir noch mit diesen: Monsieur Merkle Zusammen sagte er uns auch nur ein Wort von seinem Vorhaben? Das ist ihm nicht der Mühe wert wir haben uns zu fügen wir sind in seinen Augen niemand. Aber, Monsieur Merkle, das geht zu weit; einmal hat's ein Ende, und diesmal bleibt's dabei: ich reise ab! Jawohl, ich reise! Sagen Sie nichts, mein lieber Kapitän, bilden Sie sich nicht ein, mich von meinem Vorhaben zurückhalten zu können o nein, ich bin nicht derjenige, der sich einen deutschen Offizier vor die Nase setzen läßt schon der Anblick einer preußischen Uniform treibt mir die Galle ins Blut

unter jeder Bedingung, ich reise kein Wort, Kapitän, ich beschwöre Sie, keine Silbe; ein Wider­spruch könnte mich in diesem Augenblick zum Aeußer- sten treiben."

Der Kapitän, der treuherzig genug war, immer wieder den Kopf zu verlieren, so oft Martelet von seiner Abreise sprach, rief in Heller Verzweiflung aus:

Und Mademoiselle Jeanne?"

Das arme Kind," seufzte Martelet,mit ihrem schönen Patriotismus; ich sage nicht, daß mir die Trennung von ihr leicht wird"

Und ich sage," unterbrach ihn der Kapitän, daß es unsre Pflicht wäre, ihr beizustehen und Monsieur Merkle wegen seiner Handlungsweise Zur Rede zu stellen"

Ah, mein Freund, das ist eine Idee!" rief der Franzose ans,ich bitte, mir das Wort zu lassen, ich werde diesen: Monsieur Merkle sagen ,Mon­sieur Merkle/ werde ich Zu ihm sagen"

Martelet hielt seine Rede in den Spiegel hinein; er trug jetzt ein schwarzes Perückchen und probierte

mit großer Sorgfalt nacheinander drei Krawatten an; er entschied sich für eine hellblaue, dabei immer­fort seine Rede an Monsieur Merkle haltend, an der er sich selbst berauschte. Der Kapitän hörte ihm geduldig zu; er war von Natur ein leicht auf­brausender Mensch, aber Martelet konnte ihn um den Finger wickeln, denn der Franzose war für ihn der Repräsentant seines Vaterlandes, das er verloren hatte und nicht verschmerzen konnte.

Auch Jeanne, die Tochter des Fabrikanten, hatte zu ihrem Erstaunen eine Uniform im Nebengärtchen entdeckt und begab sich in ihres Vaters Zimmer, um ihn zu fragen, was ein deutscher Offizier da drüben zu thun habe.

Monsieur Merkle lag auf den: Kanapee aus­gestreckt; unter den Füßen hatte er eine Zeitung, unter dem Kops sein Taschentuch. Diese spießbürger­liche Art, seine Sachen zu schonen, war das Ent­setzen seiner Tochter, die als Erbin einiger Millionen in Paris erzogen worden war. Indes, trotzdem sie nach der letzten Pariser Mode gekleidet war, es half ihr nichts; sie sah darum doch mit ihrer großen, schlanken Figur, ihrer leuchtenden Gesichts­farbe und dem reichen, aschblonden Haar zum Lachen deutsch aus, wie sich ihre Verwandten ausdrückten. Und dies war der Hauptkummer in Mademoiselle Jeannes Leben!

In den Räumen des unteren Stockwerkes, das Monsieur Merkle bewohnte, fehlte jeder Komfort, fehlten alle jene Dinge, die ein Gemach erst warn: und wohnlich zu machen vermögen. Jeannes jugend- frische und höchst moderne Erscheinung stand im grellsten Gegensatz zu der altmodischen, steifen Pracht dieser vorzeitlichen Einrichtung.

Um so besser paßte Monsieur Merkle hinein mit seinem schmalen, nüchterne:: Gesicht und den: eckigen Gehaben seiner ganzen Persönlichkeit.

Der Fabrikherr war in diesen: Augenblick in seine Börsenberichte vertieft und liebte es nicht, bei dieser Beschäftigung gestört zu werden. Jeanne, die nie laut sprach, nie heftig auftrat, hatte ihren Vater schon zweimal angeredet, ohne daß er aufgeschaut hätte. Aber es war ihr zu wichtig, was sie auf den: Herzen hatte.

Du hast Taute Juliettes Häuschen an einen deutschen Offizier vermietet," sprach sie mit erhöhter Stimme,ist das möglich, Papa, du, so reich?"

Wer sagt das?" fuhr er auf.Man muß nie mit Bestimmtheiten um sich werfen; es giebt überhaupt keine einzige Gewißheit auf der Welt."

Aber das ist doch gewiß, daß in unfern: Häuschen seit gestern abend ein deutscher Offizier wohnt?"

Anscheinend ist er ein Deutscher," gab Monsieur Merkle Zu,wenigstens behauptet er's, aber sein Name ist Dumout; und du willst eine Französin sein und heißest Merkle"

Papa" Jeannes Lippen zitterten ein wenig, was werden unsre Verwandten in Paris sagen? Ich schäme mich zu Tod."

Das ist unnötig," sagte Monsieur Merkle, neulich in Mülhausen, als die Arbeiterwirren aus-