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brachen, waren sie alle recht froh über das deutsche Militär; man muß immer rechnen, mein Kind, und sich mit Leuten, auf deren Hilfe man angewiesen ist, nicht feindlich stellen; deine lieben Pariser können mir nicht helfen, wenn mein Eigentum in Gefahr kommt."
„Immer dieses Geld," murmelte Jeanne.
Ihr Vater lächelte; er wollte eben etwas sagen, als er durch den Eintritt der beiden Hausfreunde daran verhindert wurde.
Der Kapitän mit seinem vor Aufregung roten Kopf wollte sofort ins Zeug gehen, allein Monsieur Martelet schnitt ihm das Wort ab, indem er erst Jeanne mit einem Schwall von Liebenswürdigkeiten überschüttete, sodann Monsieur Merkte versicherte, er werde alle Tage jünger, und ganz lustig hin- zusügte:
„Apropos, was haben wir denn da durch das Gitter Ihres Nebengartens für einen bunten Vogel schimmern sehen, Monsieur Merkle?"
„Es ist ein deutscher Offizier," sagte Jeanne, indem ihr eine tiefe Röte in die Stirn stieg.
„Mademoiselle" — der Kapitän wollte von seinem Stuhl aufspringen, allein Martelet kam ihm abermals zuvor:
„Ereifern wir uns nicht, Monsieur Merkle ist immer gerecht, er wird uns den Grund seiner Handlungsweise nicht vorenthalten, nicht anstehen, zwei alte Hausfreunde, die nicht recht wissen, was sie von der Sache denken sollen, aufzuklären."
„Die Sache ist ganz einfach," fiel ihm Monsieur Merkle ins Wort, „es machte mir Spaß, dem deutsche!: Offizier mein Häuschen zu vermieten; es ist mir nie in meinen: Leben eine so freundliche Beharrlichkeit vorgekommen wie die dieses Herrn, und für Beharrlichkeit habe ich eine besondere Schwäche. Das leere Häuschen da oben gefiel ihm, und so oft er mich sah, bat er mich mit der ausgesuchtesten Höflichkeit, ich möchte es ihm vermieten. Daß ich endlich nachgab, hat übrigens noch einen andern Grund. Letzten Monat starb mir ein tüchtiger Arbeiter; ich habe wieder eine Witwe mit drei Kindern auf den: Hals; mit dem Mietzins des Häuschens ist ihr geholfen. Man muß immer rechnen, meine Herren."
„Habe ich's nicht gesagt?" rief Martelet aus, „da haben wir's! Monsieur Merkle ist nicht der Man::, der sich Hinreißen oder verwirren läßt, Monsieur Merkle thut immer das Richtige. Unser armer Kapitän, ich sehe es ihm an, ist andrer Meinung, aber auch das müssen wir verstehen; Ihre Welt, Monsieur Merkle, ist Ihre Fabrik, seine Welt war die Armee — unsre große — unsre —"
„Ich Litte Sie," unterbrach ihn Monsieur Merkte, indem er einen ungeduldigen Griff nach seiner Zeitung that.
Martelet sprang auf: „Sie sind ein Mann der That und nicht der Worte; kommen Sie, kommen Sie, Kapitän, befreien wir diesen Vielbeschäftigten von ein paar abscheulichen Eindringlingen."
Die beiden ungleichen Freunde schritten die breite Treppe hinab; kaum im Garten angekommen, warf der Kapitän dem Kameraden den Fehdehandschuh hin:
ljeinisch.
„Sie find ein unzuverlässiger Mensch, Sie Habei: keinen Charakter, die ernsthaftesten, die heiligsten Dinge behandeln Sie an dagatalla —"
„Weil ich einsichtsvoll bin," unterbrach ihn der Franzose, „das ist es ja eben, was euch arme Elsässer so unausstehlich macht, dieser Ernst, diese Schwere, diese Plumpheit! Wochenlang kauen Sie an Ihrer Empörung herum, wenn ich längst nicht mehr weiß, um was es sich handelt. O mein Frankreich, du Land, in den: man ewig jung bleibt, weil alles seinen Impulsen, seinen momentanen Eingebungen folgen darf, warum muß ich unter Menschen leben, die das Dasein zu einer Zwangsarbeit herabwürdigen? Wissen Sie nicht, daß es ein Ding der Unmöglichkeit ist, Monsieur Merkle in irgend einer Sache zu bestimmen, zu beeinflussen! Mein Gott, er kann mich ja jeden Augenblick an die Luft setzen! Ich, mit meiner Geistesgegenwart, sagte nur sofort: Hier müssen wir auf eigne Faust handeln; sachte, ganz sachte müssen wir diesen Prnssien ans unsrer stillen Ecke Hinaustreiben — Ah, mein Freund," setzte er mit einem Seufzer hinzu, „Sie lernen mich nie kennen!" — worauf ihm der Kapitän ganz zerknirscht die Hand druckte.
Auch Jeanne hatte das Zimmer ihres Vaters verlassen; sie war eine so große Patriotin, daß ihr jedesmal die Nöte der Scham in die Stirn schoß, so oft sie daran dachte, was sie Wohl in Paris sagen würden, wenn sie erfuhren, daß ein deutscher Offizier auf ihres Vaters Grund und Boden wohne. Gewiß würde inan auch sie mit Vorwürfen überhäufen und es unbegreiflich finden, wie sie eine solche Sache habe geschehen lassen können. Kein Mensch wußte ja, wie wenig sie bei ihrem Vater durchsetzte, daß sie keinen Willen haben durfte, keine eignen Gedanken!
Unruhig ging das junge Mädchen in den schönen Räumen des oberen Stockwerkes auf und ab; hier herrschte sie, und ihre Umgebung stand mit der Eleganz ihrer eignen Erscheinung im schönsten Einklang.
Durch die offenen Fenster sah man weit in das gesegnete Thal hinein, eingebettet zwischen den noch kahlen Rebbergen und dunkeln, hoch zum Himmel ragenden Tannenwäldern. Jeannes Blick glitt achtlos über diese freundliche Landschaft hin: ihr Sin:: war nicht geweckt für die Natur. Für sie gab es nur ein Schönes: Paris. Allein mochte sie sich noch so sehr dort zu Hause fühlen, es erging ihr mit ihrem Aeußern wie mit ihrem Namen!
Jeanne Merkle, das war nichts Ganzes, das waren zwei Hälften, die nicht zusammenpaßten.
Und das junge Mädchen litt unsäglich unter diesem Zwiespalt; sie hatte die Umgangsformen einer jungen Weltdame, war sich bewußt, mit der gleiche:: Vollkommenheit die französische, englische und deutsche Sprache Zu beherrschen, und malte und musizierte nicht ohne Talent. Aber trotz aller dieser Kenntnisse war sie innerlich ein vollkommen unentwickeltes Geschöpf geblieben; in ihr schlummerte alles. Einmal nur — sie war noch ein kleines Kind — war eine überraschende Kraft der Empfindung bei ihr für einen