These, dafj die konservative Stabilisierung des politischen Systems nach .1848 „das ästhetische Programm, also die literarischen Normen und Konventionen (berührt) — was sich in der Literaturkritik niederschlägt — ..." und sich „ferner auf die Auffassung der Kunst und ihrer Funktion in der Gesellschaft (bezieht), aber .. i. die materielle Seite der Institution kaum (berührt)” (S. 122), bestätigt sich in der nachfolgenden Untersuchung. Zentraler Bezugspunkt hierfür ist ihm die postrevolutionäre Debatte über die Realismustheorie, in der jetzt die Frage nach der ästhetischen Autonomie der Kunst unter anderem Vorzeichen als nach 1800 beantwortet wird. Zu hinterfragen ist jedoch die zusammenfassende' Wertung der Haltungen Freytags, Schmidts, Prutz' und Gottschalls, indem Hohendahl feststellt, Poetisierung und Verklärung der Wirklichkeit in der Kunst sei keine Borniertheit, sondern habe „mit dem Glauben zu tun, dafj die noch unvollkommene empirisch-historische Wirklichkeit in der ästhetischen Sphäre vollendet werden mufj. .. Die Kunst kann wahrnehmen, was in der Wirklichkeit erst in Ansätzen vorhanden ist" (S. 131). Zweifel entstehen vor allem deshalb, weil die korrektive Verwendung des Autonomiebegriffs in einer Vielzahl poetischer Konzeptionen des Nachmärz nachweisbar ist, ohne daß damit die Richtung erwünschter Veränderungen bezeichnet ist. Mindestens Freytag und Schmidt haben im Rahmen der Realismusdebatte eine besondere Rolle als konzeptive bürgerliche Ideologen gespielt, die sie von anderen Autoren und Kritikern abgrenzt. Wichtig jedoch ist der Nachweis sowohl eines Bruchs mit der vormärzlichen Auffassung der Kunstfunktion, indem über Kunstautonomie die Wirklichkeit nicht mehr kritisch hinterfragt werden soll (S. 132), als auch einer Kontinuität, die den aufjerästhetischen Zweck von Kunst nicht zurücknimmt, sondern nur modifiziert (S. 141). Die bis jetzt nachgezeichneten Grundstrukturen nachrevolutionären liberalen Denkens im Bereich des literarischen Lebens werden weiterverfolgt in ihrer Bedeutung für die Bildung der literarischen Tradition und des poetischen Kanons, für. die Institutionalisierung der Literaturgeschichte, für den Bereich des Bildungswesens und das literarische Publikum. Die Untersuchungsergebnisse münden ein in die beiden letzten Kapitel, in denen Hohendahl beschreibt,, wie sich unter den Bedingungen des industriellen Aufschwungs und der Kapitalisierung der liberale Kulturr begriff verändert hat. In zunehmendem Mafje verliert er seine erbauliche Komponente und erhält über Buchmarkt und Massenliteratur vor allem nach 1870 in der Tendenz eine sachliche Färbung. Dies- bezieht sich jedoch ausdrücklich nicht auf den Bereich der Literaturgeschichte, die mit ihrer institutioneilen Etablierung zum Jahrhundertende hin immer weniger Bedeutung für die allgemeine literarische Öffentlichkeit, dagegen wachsenden. Adressatenbezug für die wissenschaftliche Öffentlichkeit beansprucht. Die Trennung zwischen Literaturgeschichte und Literaturkritik „dürfte um 1900 bereits eine Realität gewesen sein" (S. 266).
Das von Hohendahl entwickelte Modell erhält seinen Wert vor allem in der Möglichkeit einer systematischen Untersuchung funktionaler Zusammenhänge, iii denen die Institution Literatur das Interessenzentrum bildet. Bereits im Vorwort benennt er den notwendigen nächsten Schritt in einer „Rückwendung zum ästhetischen Text, zur Untersuchung der konkreten Beziehungen zwischen Institutionalisierung und literarischer Produktion, beziehungsweise Rezeption" (S. 10).
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