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Linksrheinisch.
Zum Ausblick benutzt — da hörte sie plötzlich'.die kurzen, harten Schritte ihres Vaters auf dem Kiesweg längs des Gitters, und nun saß sie fest, nun mußte sie ausharren.
„Herr Hauptmann!" rief Monsieur Merkte in den Nachbarsgarten hinüber; Dumont kam.
„Ich hätte ein Anliegen," begann Monsieur Merkte, ohne sich auf die Frage nach seinem Befinden einzulaffen. „Es handelt sich um einen jungen Menschen in meiner Fabrik; er sieht schwächlich aus, hat schmale Schultern — kurz, er hat den Eigensinn, jetzt schon, mit neunzehn Jahren, sein Freiwilligenjahr abdienen zu wollen, und ich wünschte, daß er noch ein Jahr warte. Es liegt mir viel daran — ich möchte deshalb — wie wär's, wenn ich den Burschen unter irgend einem Vorwand zu Ihnen schickte — Sie könnten mir da einen großen Gefallen thnn — Sie müßten ihn von seiner Idee abznbringen suchen; sein Aeußeres könnte Ihnen vielleicht Veranlassung geben—"
„Aber," unterbrach ihn der Hauptmann, „welche Berechtigung haben Gie, den jungen Mann in seinem Vorhaben auszuhalten? Ich muß gestehen, daß ich mich hier nicht so ohne weiteres einmischen möchte —"
„Hm so, hm so," meinte Monsieur Merkte und lachte nervös aus. „Nun ja, es wird ja auch kein Geheimnis bleiben; der junge Mensch ist mein Sohn; er ist auf meinen Namen eingeschrieben. Durch seinen Eigensinn geht mir nun alles quer; ich hatte vor, Jeanne noch in diesem Jahre Zu verheiraten, dann wäre die Sache ja ganz bequem zu machen gewesen. Solange sie als junges Mädchen zu Hause ist, kann ich den Sohn unmöglich anerkennen, und außerdem hätte ich gerne noch Zeit gehabt, mich mit dem jungen Menschen anzufreunden, denn wenn er nun die Sache so über Hals und Kopf erfährt —"
„Das darf nicht sein," unterbrach ihn der Hauptmann, „es ist Ihre Pflicht, es ihm selbst Zusagen; das sind Dinge, die ganz allein Zwischen Vater und Sohn verhandelt werden müssen."
Eine Pause entstand; Monsieur Merkte trommelte gegen das Gartengitter.'
„Tie Sache ist nicht leicht, aber ich will entschieden das Nichtige thnn. Ich habe den jungen Mann beobachtet; er ist tüchtig, und das Geld geht ihm schwer von der Hand. Eben das habe ich bezweckt; er sollte lernen, was der Pfennig wert ist, der sollte ihm nicht von selbst zufliegen. Ich war nicht glücklich mit meiner Frau; sie kam aus einen: reichen Haus und hatte keine Idee vom Werte des Geldes; was ich im Schweiße meines Angesichts einbrachte, sie warf es achtlos hinaus; sie war nicht Zn ändern, das Verschwenden stak ihr im Blut. Sie schenkte mir eine Tochter; ich hatte mir einen Sohn gewünscht. Sie starb, und es war vielleicht kein Unglück. Ich nahm eine Französin ins Haus; wenn sie Anlagen zur Sparsamkeit gehabt hätte, wer weiß, ich hätte sie vielleicht geheiratet — aber einen Sohn wollte ich haben. Ich rechnete so: wer weiß, ob der Mann meiner Tochter auch der richtige für mein Geschäft ist? Immer besser, einen Hintermann zu haben von meiner Art. — Dies ist der
Fall; Jean istJnein zweites Ich — nur scheint er bis jetzt noch ^nichts für mich übrig zu haben — nein, gar nichts — seine Pflegeeltern sind ihm alles — hm, ja — der alte Gilbert hat immer Thränen in den Augen, wenn er von ihm spricht; ein eigner Sohn könnte nicht anhänglicher sein. — Das habe ich nun nicht bezweckt, es könnte mir an: Ende sehr hinderlich werden, denn wenn er nun die Sache erfährt, wie wird er's ausnehmen?"
„Das hängt von Ihnen ab, Herr Merkte, Sie müssen die Worte finden, die ihm zu Herzen gehen, Sie müssen alles thnn!"
„Hm, ich denke, ich kann ihn: schon etwas bieten; was kann er sich denn Besseres Wünschei:, als daß ich ihn anerkenne! Er braucht sich ja nur ein Jahr zu gedulden, bis ich Jeanne verheiratet habe; ich werde das jetzt so rasch als möglich zu betreiben suchen."
„Glauben Sie, daß Ihr Fräulein Tochter sich so ohne weiteres —"
„Jeanne — ich bitte Sie! Ich habe nie einen eignen Willen, eine eigne Ansicht bei ihr auskommen lassen. — Also Sie sind wirklich der Meinung, ich muß es ihm selbst Mitteilen — eine harte Nuß, aber in Gottes Namen, ich werde auch damit fertig werden."
Der Hauptmann sah dem rasch davoneilenden Manne nach, aber er dachte weder an dessen noch an des Sohnes Schicksal; er dachte an Jeanne.
Da schlug ein jammernder Laut an sein Ohr, ein unterdrücktes Schluchzen und Stöhnen, als sei da in seiner Nähe ein Mensch dem Verzweifeln nahe. Im nächsten Augenblick schwang sich Dumont über das Gitter und stand drüben am Eingang des Gartenhänschens.
Jeanne sah nichts und hörte nichts; mit einem- mal schaute sie auf, wie gezwungen, als fühle sie den Blick, der voll Mitleid auf ihr ruhte. Und merkwürdig, sie erschrak nicht, es siel ihr nicht einmal ein, sich Zu verwundern, daß er dastand.
„Was soll ich thnn?" schluchzte sie. „Was soll ich thnn?" und streckte wie hilfesuchend die Hand nach ihm aus. Dumont umschloß diese mit warmen:, innigem Druck, dann gab er sie frei und setzte sich neben das junge Mädchen hin.
„Sie können nichts thnn, Sie müssen sich Hineinsinden; Sie haben einen tieferen Blick ins Leben gethan, das leider nicht immer schön ist."
„Aber — ich kann nun doch meinen Vater nicht mehr achten," kam es stoßweiße über JeannesLippen, „ich bin ja jetzt ganz ohne — ich habe ja alles verloren — alles —"
„Ihr Vater hat gefehlt," sagte der Hauptmann, „Sie wissen nicht, welche Strafe ihn: dafür Vorbehalten ist; Sie kennen ihn ja, Sie wissen, seine Arbeit, sein Unternehmen geht ihm über alles, seine Berechnungen —"
„Ja, die," unterbrach ihn Jeanne, „die haben uns alle unglücklich gemacht — hätte er diese Frau nicht heiraten müssen? O, nun begreife ich, daß sie mich nicht liebe:: konnte! Meine ganze Kindheit war durch sie eine unglückliche — und — und der andre — sie nahm mich manchmal mit Znm