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Weber Land und Meer.
nahmen, sagte Jean mit einemmal, indem er die Mutter scharf auss Korn nahm:
„Was ist auch aus der Französe geworden, die so oft Zn uns auss Schlößle kam? Ich weiß noch, wenn Ihr den Wagen habt fahren hören, Mutter, Hab' ich immer schnell müssen Schuh' und Strümps' anziehen; sie hatte so schwarze, unruhige Augen und ein unzufriedenes Gesicht; Ihr war't immer ganz aus dem Hänsle, Mutter, wenn sie wieder weg war."
Madame Gilbert war es plötzlich heiß geworden, so daß sie das nächste Fenster ausriß und ihr Halstuch lockerte.
„Wie kommsch oi uf die?" meinte sie in gezwungenem Ton, „gang du lieber noch e weng spaziere, 's isch so schön Hut obend!"
„Hm so," meinte Jean und warf noch einen Blick aus den Vater; der war ganz blaß geworden.
Der junge Mann räusperte sich: „Der Monsieur Merkle hat heut mit mir geredet."
Theres sah verwundert aus; es war so, als atme kein Mensch mehr im Zimmer.
„Der Monsieur Merkle hat mir gesagt," — es hatte den Anschein, als ob sich Jeans Zunge sträube, den Satz zu vollenden, — „er behauptet, er sei mein Vater, — und anerkennen wollt' er mich auch, hat er gesagt..."
Mutter und Schwester sielen zugleich über ihn her, umklammerten seinen Hals und weinten und schrieen, daß es zun: Erbarmen war. Der alte Gilbert schneuzte sich; er wollte ein Mann sein und sich nichts anmerken lassen, rannte in der Stube aus und ab und fuhr alle Augenblick mit der geballten Faust gegen das Fenster hin.
Theres schrie nur immer: „Er isch doch ünser, er isch doch ünser, galt, Mamme, er isch ünser?"
Und ihre Mutter hielt den schmächtigen, blassen Burscheil in ihren beiden kraftvollen Armen:
„'s soll mer nur eis gah komme un mir das Kind namme!"
Jean saß wie in einem warmeil, wohligen Backofen; vielleicht gerade, weil ihm selbst die Gabe abging, seine Gefühle zu äußern, that ihm die herzliche Wärme, die ihm hier in so reichem Maße zuströmte, so Wohl.
„Min net grüne," sagte er, indem er der Schwester über die Haare strich und die Mutter sanft von sich wegschob, „ich gehör' zu euch; der Monsieur Merkle hat sich verrechnet; ich bleib' der Jean Gilbert."
Der Vater kam herbei: „'s ist net din Vorteil, Jean."
Der schüttelte den Kopf: „Ich kann mich zum Monsieur Merkle net zwingen; es ist wie verhext, daß gerad' die beiden Menschen, die mir am meisten zuwider sind, meine Eltern sein müssen."
„Galt, uns hesch lieb?" umschmeichelte ihn die junge Theres.
Er zog sie an sich und gab ihr einen Kuß.
„Sei mir nur brav," sagte er uud drohte mit dem Finger, „ich will dich nimmer am Gitter verwische, Theresele, — denn gal," wandte er sich an die Mutter, „Ihr gebe mir's Zur Frau, wann ich mein Jahr ab'dient Hab'."
„O Herr Jerum," schrie das junge Ding ans, ohne lang aus die Autwort der Eltern zu warten, „jetzt ben i scho Braut, Herr Jerum, Herr Jerum!" und sie tanzte wie verrückt im Zimmer herum.
Es war keine Möglichkeit, in ihrer Gegenwart etwas Ernstes Zu reden. Die Eltern wurden ganz ungeduldig und drohten sie einzusperren; Jean gab ihr ein neues Markstückchen:
„Gah un mach dir e Freid'!"
Sie schoß davon; es war noch hell, und sie machte sich unverzüglich aus den Weg ins Städtchen. Nachdem sie erst eine Weile gelaufen war, ging sie langsamer, und es kamen ihr so allerlei Gedanken. Mitten iil dein Rausche ihres Glückes wurde sie ernsthaft, und statt, wie sie es vorgehabt hatte, voll Halls zu Haus ihre Brantschast zu verkünden, ging sie ganz still in die nächste Trafik und kaufte für ihr blankes Geldstückchen einen Packen Zigarren.
Es dunkelte, der Hauptmann ging zwischen seinen Beeten spaziereil mit Bichette lind den jungen Kätzchen, die noch sehr wackelig auf den Beineil waren, als die hübsche Theres plötzlich zur Gartenthür hereintrat und direkt auf den Hauptmann zuging.
„Güata Obed," sagte sie, „i mecht' der Bursch spräche, isch er d'heim?"
„Hm," meinte der Hauptmann, „auch noch mit Zigarren? — Tröndle, kommen Sie 'mal 'raus!"
Der Unglückliche wurde dnnkelrot vor Schreck, als er das Mädchen dastehen sah.
Sie begann unverzagt: „I ben Braut mit 'm Bruder — des heißt, er isch nimme mi Bruder, er g'hert im 'ue andre, aber er bliebt bi uns, er mag der nü Vader net. Un jetzt b'hiät i Gott, un do häner e poor Zigarre, pikfine sen's, 's fall e kleis Souvenir si, un i dank oi scheu — für allis."
Sie gab ihm die Hand, auch der Hailptmann bekam eine; dann sprang sie vergnügt davon, nachdem sie noch schnell die Bichette ausgenommen und ihr ein paar Küsse zwischen die Ohren gegeben hatte.
„Also doch verrechnet," sagte der HauptmaiiN vor sich hin.
Der neben ihm stehende Bursche bezog das aus sich:
„Jawohl, Herr Hauptmann," gab er mit einem etwas bittersüßen Lächeln zur Antwort, „aber jetzt hat wenigstens die arm' Seel' Ruh'."
Dumont ging, bis es dunkelte, im Garten spazieren. Wie mochten die Dinge im Nachbarhause stehen — wie stand's um Jeanne? Was ging vor hinter jenen hellerleuchteten Fenstern, was wurde da ans- gekämpft, beschlossen, unternommen? Er mußte still halten, durste keinen Schritt thun, kein Wort wagen; es blieb ihm nichts andres übrig, als aus seinen guten Stern Zu vertrauen, zu hoffen, daß Jeanne nach allem, was sie erlebt, nicht mehr die fügsame Tochter war, wie ihr Vater meinte. Aber mit seiner Ruhe war's vorbei, mit dem Genuß, den er sollst bei seinen Büchern, bei seinen ländlichen Beschäftigungen gefunden. Und er war so viel allein; Monsieur Merkle ließ sich nicht blicken; kein weißes Kleid schimmerte mehr durch das Grün der Gebüsche drüben; nicht einmal Martelet kam zu einem Plauder- oder