Linksrheinisch
daß er der Sohn dieses Mannes sei, daß man ihn anerkennen nnd für ihn sorgen wolle. Nur solle er für dieses Jahr vom Dienen abstehen, da für die nächste Zeit noch allerlei Wichtiges, diese Angelegenheit Betreffendes, erledigt werden müsse.
Die Sache war heraus, und Monsieur Merkle sah den jungen Mann an, der jetzt wußte, daß er vor seinem Vater stand. Er wartete auf eine Antwort; er hielt die Rechte gegen ihn ausgestreckt; in seinen: Blick schimmerte etwas Feuchtes.
Aber Jean rührte sich nicht; die Kehle war ihm wie zusammengeschnürt, er atmete hart und hörbar, und die Angen, die ihm fast aus den Höhlen traten nnd starr aus seinen Vater gerichtet waren, drückten nichts andres als Entsetzen aus.
Monsieur Merkle Zuckte Zusammen unter diesen: Blick. „Hast du gehört?" sagte er. „Ich will dich anerkennen."
„Werd' mir's überlegen," gab der Sohn Zur Antwort, griff nach der Thürklinke und verschwand.
Langsam, wie von einer schweren Last bedrückt, ging er den sanft ansteigenden Weg hinan Zn den Seinen.
Der Lärm, das Getöse der Fabriken war vorbei, die dicken, schwarzen Rauchsäulen stiegen nicht länger zun: Himmel ans, nur der Qualm lag noch über dem Thal. Aber an jeder der kleinen Arbeiter- Wohnungen quoll es lustig ans den Schornsteinen, und die hungrig aus den Fabriken Heimkehrenden fanden ein warmes Essen auf dem Tisch.
In dieser Welt der kleinen Leute hatte Jean gelebt, war er ausgewachsen und hatte sich wohl gefühlt, lind nun mit einemmal sollte er all das Gewohnte lassen; die Menschen, an denen er hing, sollten für ihn Fremde werden — es überkam ihn: ,Jch wollt', ich siel' jetzt tot nieder!'
Ein junges Mädel kau: mit dem Bierkrug des Wegs, nnd Jean schoß es durch den Kops: ,Also 's Theres ist nicht meine Schwester!'
Und nun mit einemmal schritt er aus; die letzte Strecke begann er förmlich zu rennen. . .
Er kam wie gerufen; Theres in ihren: dunkeln Drange hatte schon wieder den armen Tröndle abgepaßt und zwitscherte durchs Gitter wie ein lustiger Vogel.
Gerade am Tage Zuvor hatte der Bursche seinem Herrn erklärt: „Herr Hauptmann, ich Hab' mir's überlegt, der Herr Hauptmann und ich, wir bleibe beinand'" — und jetzt sing das leidige Mädel schon wieder an.
„Gah, fnx mi net," rief sie herüber, „'s ward di g'weß oi freie, e Weng z' rede."
„Nei, 's freit mi nit," fuhr sie der Bursche an, „di Sprach isch mer z' wüest, ihr sage immer ,a' wo sich 's g'hert."
„Dü Chaib, dü Lüder, dü vertrackte Dickkopf, dü miserable, elnndige —" und ganz freundlich setzte sie hinzu: „Bisch jetz wieder güet? I bei: oi nimme bös."
„Hm," machte Tröndle, „i au nit grad —"
Ta kam die Hilfe; Jean kam herbeigeschlichen und packte das Mädchen am Arm.
„Was hesch mit dem Kerl?" raunte er ihr zu, indem er sie mit sich fortriß, „was hesch mit den: Kerl, sag's, i will's wisse."
Sie verschwor sich hoch und teuer, noch nicht ein freundliches Wort habe ihr der Bursche gesagt.
„Die Hand aufs Herz," befahl der Bruder, „und schau mich an: kannsch's bi Gott verschwöre?"
Ja, das konnte sie, dank der Gewissenhaftigkeit des braven Tröndle.
Sie traten in das kleine Haus; der Vater saß am Tisch, die Mutter brachte eine große Schüssel, in der Würste, Kraut und Kartoffeln zusammen gekocht waren. Man langte Zu.
Theres sah manchmal den Bruder mit einem gewissen Unbehagen von der Seite an; es war das erste Mal, daß er hart Zu ihr gewesen war; sie wußte nicht recht, was sie daraus machen sollte, nnd schwieg. Aber wenn sie nicht plauderte, that es sonst niemand. Der Vater war ein stiller Mann; in seinen Mußestunden saß er am liebsten über einer Zeitung, und da er kein Wort von dem, was er gelesen, sprach, so hielten ihn die Leute für einen großen Denker, wobei er es bewenden ließ. Die Mutter, eine kleine, untersetzte Frau, bestand nur aus Impulsen; entweder ihre Stimme ertönte ii: überlauter Lustigkeit, oder sie heulte und lamentierte, auch ohne einen Grund Zu haben, bloß weil es ihr nicht ums Lachen war.
„Du ißisch gar nimme rächt," schalt sie den Sohn, nnd Jean, um sie nicht zu kränken, ließ sich den Teller zun: zweitenmal füllen.
So manches wurde ihm jetzt klar, was ihm in seiner Jugendzeit zu denken gegeben hatte; die Mutter hatte ihn nie geschlagen, wie sie das so oft bei der kleinen Theres gethan; sie war aber auch nie mit solch stürmischer Zärtlichkeit über ihn hergefallen, hatte ihn nie so fest in die Arme geschlossen wie jene. Er hatte gedacht, daß das bei Mädchen so sein müsse, und da ihm die lustige kleine Person über alles ging, fand er es ganz au: Platz.
Viel befremdlicher war ihm die Entdeckung gewesen, daß er als kleiner Bursche schon besser lesen konnte als seine Eltern; er hatte sie einstmals nach einem besonders schweren Wort in seinen: Lesebuch gefragt, und es fiel ihm jetzt noch aus die Seele, mit welch peinlichem Gesichtsansdrnck der Vater sich damals von ihn: abgeweudet hatte.
Gleich nach diesem Vorgang fing der alte Gilbert das Zeitungslesen an, als sei ihm das ein besonderes Vergnügen, während der Sohn wußte, daß der Vater sich heimlich jedes Wort zusammenbnchstabieren mußte. Der kluge, kühl beobachtende Bursche hatte es überhaupt schon mit zehn Jahren heraus, wie es um das Wissen der Seinen stand; aber ihre Herzen hielten ihn warm, so daß er in der gestrengen, kalten Atmosphäre des Gymnasiums fast Zu Grunde ging vor Heimweh nach Vater und Mutter.
Der Vater hatte sich nach dem Essen eine Zigarre angesteckt und las die Zeitung; es ging jetzt ganz flott damit; er hatte längst nicht mehr das Buchstabieren nötig. Als die Frauen ans der Küche kamen und mit ihren: Strickzeug an: Tisch Platz