Issue 
(1897) 13
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Ueöer Land und Meer.

Lesestündchen. Er und der Kapitän hatten sich nach Belfort Legeben, um dort dem großen Fest beizu­wohnen, das die Franzosen jetzt, nach fünfundzwanzig Jahren, Zur Feier ihrer geretteten Festung ver­anstalteten.

Sobald Dumont seine Berufspflichten erledigt hatte, fuhr er in feine Lodenjoppe, nahm feinen Stock und wunderte in die Berge. Dieses Unter­nehmen wurde jedesmal von dein laut kläffenden Bijou der ganzen Nachbarschaft mitgeteilt, und so wußte cs auch Jeanne: jetzt ging der Hauptmann mit des Kapitäns Hündchen in die Berge.

Und sie faß viel am Fenster und sah nach jenen Bergen hin.

Im Anfang nach jenem Erlebnis, wie unglücklich war sie gewesen, wie gestört in ihrem innersten Wesen; eS war ihr schrecklich, mit ihrem Vater zu­sammen zu fein, dem sie kein rechtes Vertrauen mehr entgegenzubringen vermochte. Es war ihr immer, als müsse sie zum Gartengitter eilen, zu jenem Menschen mit dem milden, seelenguten Blick, und sich dort Rats erholen und Trost für alle Herzenswunden. Ach, warum hatte er nur jenes böse, jenes unglückselige Wort gesprochen: ich bin mit Leib und Seele Soldat.

Erst kürzlich, was hatte sie wieder alles hören müssen in der Gesellschaft einer befreundeten Fabri- kantensamilie; wie frisch war noch aller Haß gegen das preußische Militär; keine dieser Familien hätte sich herbeigelassen, auch nur annähernd mit diesen Eindringlingen zu verkehren. Man gab Zu, Hauptmann von Dumont sei ein bescheidener Mensch, er habe nichts Herausforderndes, und seine Sprache klänge nicht hart und schneidig wie die der meisten Offiziere, von denen man eine Masse Taktlosigkeiten und Schroffheiten zu berichten wußte. Alan erzählte sich von der Unterwürfigkeit der jüngeren Ofsiziers- srauen gegen die Frauen ihrer Vorgesetzten, welche Nolle eine Kommandense spiele, wie sie sich gehabe. Man fand kein Ende an Lächerlichkeiten, und Jeanne saß im Kreise dieser lebhaft redenden Damen und konnte sich eines Lächelns kaum erwehren, denn spielten sich vor ihren Augen nicht ganz dieselben Vorgänge ab, die hier so scharf getadelt wurden?

Waren die Frauen der großen Fabrikherren nicht auch die Mächtigen, denen sich die Frauen der Fabrik­beamten nur mit der größten Unterwürfigkeit zu nahen wagten? Jeanne mußte unwillkürlich an die Worte des Hauptmanns denken: die Menschen sind sich überall gleich. Und war es nicht so? Nur gab in den militärischen Kreisen die Stellung, hier der Reichtum den Ausschlag. Daß sie dies erkannte, daß sie im stände war, die Dinge mit einemmal von einen: freieren Gesichtspunkt aus Zu beurteilen, welchem Einfluß mußte sie das zuschreiben?

Und doch, mit all diesen Menschen, Zu denen sie nun einmal gehörte, zu brechen, ganz aus dem Herkömm­lichen herauszutreten, das schien ihr unmöglich, dazu fehlte ihr die Kraft, der Mut, denn sie war an der Seite eines Vaters ausgewachsen, der nie einen eignen Willen bei ihr geduldet hatte.

Es war am Morgen nach einer solchen Gesell­schaft; Monsieur Merkle schlürfte seinen Kaffee und

machte ein Gesicht, als habe es die ganze Welt mit ihm verdorben; das Getränk dünkte ihm bitter, er warf noch ein Stückchen Zucker hinein, nun war es Zu süß, und er goß schwarzen Kaffee nach; nichts war recht. Jeanne dachte bei sich selbst: ,So habe ich Papa noch nie gesehen?

Es war ihm noch nicht oft passiert im Leben: Monsieur Merkle hatte sich verrechnet. Der junge Mann war zu ihn: gekommen und hatte ihn: kurz und bündig erklärt, er bleibe seinen Eltern und dem Namen, den er seither getragen, treu; er vermöge kein Herz zu einem Vater zu fassen, der sich nie um ihn gekümmert habe.

Seither strich Monsieur Merkle, sobald es dunkelte, um das Portierhäuschen herum wie ein Dieb, bloß um einen Blick in die kleinen, erleuchteten Fenster Zu thun; darin saßen sie um die Lampe, eine fried­liche Familie, und der schmächtige Mensch da in ihrer Mitte mit dem klugen Gesicht war sein Sohn, nach dessen Liebe er sich sehnte, und der nichts von ihm wissen wollte.

Die Stimme der Tochter riß ihn aus seinen Betrachtungen.

Papa, warum schmeckt dir das Frühstück so wenig heute?"

Er murmelte etwas, aber er sah sie freundlich an: bei Jeanne, jawohl, da war er seiner Sache sicher, dieses Kind hatte er erzogen, da hatte er keinen Widerspruch zu befürchten.

xroxos," meinte er Zwischen dein Schlürfen seines Kaffees,hast du dir den Herrn, den ich dir gestern abend vorstellte, näher angesehen? Monsieur Trebuchon aus Lyon; den wirst du heiraten."

Jeanne wechselte die Farbe:Wie, Papa?"

Er wird heute kommen."

Ich werde nicht zu Hause sein."

Was fällt dir ein?"

Ich bin kein Kind mehr."

Du bist Jean Merkles Tochter."

Im Mai werde ich dreiundzwanzig Jahre."

Was soll das heißen?"

Daß ich mündig bin."

Oho," schrie Monsieur Merkle auf,mündig, eine Tochter und mündig! Schweig, ich will nichts weiter hören."

Doch, doch, Papa."

Sie stellte sich ihm in den Weg, denn er hatte das Zimmer verlassen wollen; die Todesangst war ihr aus dem Gesicht geschrieben, sie zitterte an allen Gliedern.

Auch Monsieur Merkle zitterte; hatte sich denn mit einemmal alles verschworen, sich gegen ihn auf- zulehnen?Jeanne," setzte er ruhiger hinzu,sei nicht lächerlich."

Sie faßte sich und zeigte aus einen Stuhl.

Ich bitte dich, Papa, ich habe dir etwas zu sagen."

Er sah sie verwundert an und nahm unwillkürlich Platz; es war da ein Ausdruck in Jeannes Augen, ein Ernst, eine Entschlossenheit so war sein Sohn vor ihn: gestanden und hatte sich mit wenigen Worten von seinem Vater losgesagt.