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Aber Jeamies Stimme klang nicht hart und gefühllos; sie hatte Thränen in den Augen, und ihre schmalen Finger rissen das kleine seidene Taschentuch säst in Stücke.
„Ich muß reden — ich muß — du Zwingst mich, Papa, ich kann ja nichts dafür, aber ich bin so anders geworden in der letzten Zeit — allerlei Erlebtes hat mir die Angen geöffnet — ich bin kein Kind mehr — ich weiß, ja, ich bin überzeugt, eine Ehe, die nicht aus gegenseitige Achtung und Liebe
„Ja, was ist denn mit dir geschehend Das ist ja unerhört!" schrie Monsieur Merkte ans. „Hast du verrückte Bücher gelesen d Dann bilde dir nur nicht ein, daß ich mich auf solche dummen Geschichten einlasse."
„Dumme Geschichten — o Papa, das kann nicht dein Ernst feind"
„Natürlich ist's mein Ernst, dir heiratest Monsieur Trebuchon, und alles andre ist überflüsssg."
Er hatte die letzten Worte hart und zornig hervorgestoßen und war eben im Begriff, anfzuspringen, als ihm seine Tochter ein keuchendes, beinahe befehlendes „Bleibe" zuries.
Das sonst so gefügige Mädchen stand ihm wie eine Anklägerin gegenüber, mit großen, weit aus- gerissenen Augen und bebenden Lippen, die vergeblich nach Worten suchten.
„Jeanne. aber Jeanne," rief Monsieur Merkte ans, „was ist mit dird"
„Ich weiß alles," schrie sie ans, „ich habe alles gehört — meine arme Mutter — ich will nicht auch unglücklich werden, wie sie es war — nein, ich will nicht — ich lasse mich nicht von dir zwingen — ich habe kein Vertrauen mehr zu deinen Berechnungen,
— wir waren alle unglücklich — ich, dein Sohn
— dessen Mutter — o, wie entsetzlich, daß es solche Dinge giebt ans der Welt, wie grausam — wie unrecht — wie habe ich gelitten!"
Ein Schluchzen erstickte ihre Stimme, dann war es still; sie suchte sich zu fassen, sie wollte nicht weinen, sie wollte stark sein und ihre Sache verfechten. Plötzlich überkam sie's: warum war es nur so still, so unheimlich stilld Sie blickte ans und erschrak; wie alt war ihr Vater mit einemmal geworden, wie znsammengesunkeu saß er in seinem Lehnstuhl, bleich wie der Tod.
„Ist das meine Tochter," murmelte er vor sich hin, „ist das meine Tochterd"
UndJeanne brach mein leidenschaftliches Schluchzen ans, sie eilte ans ihn Zu und umschlang ihn mit beiden Armen:
„Verzeih, verzeih — wie furchtbar, daß ich dir so etwas sagen mußte — aber ich habe so viel durchgemacht — ich kannte mich nicht inehr — die Verzweiflung sprach ans mir — und ich möchte so gerne glücklich werden — ich weiß jetzt — ich bin überzeugt, es giebt Menschen, die sind so — daß man
— daß —"
„Ah," rief Monsieur Merkte ans und machte sich von den Armen seiner Tochter frei, „also der!"
Sie wurde dnnkelrot, warf ihm einen flehenden Blick zu und verließ eilig das Zimmer.
Ans den Knieen des Vaters war das zerknitterte,
Heini sch.
thränendurchtränkte Taschentuch der Tochter Zurückgeblieben. Monsieur Merkte starrte darauf hin. Nicht nur der harte, trotzige Bursche hatte sich von ihm losgesagt, auch sie, die Tochter, die allezeit sanfte, so wohlerzogene Jeanne.
Und Monsieur Merkte schlug sich mit einem schweren Seufzer gegen die Stirn:
„Wer war's, der den Hauptmann absolut da drüben hat haben wollend Hm ja, hm ja, da habe ich mir selber eine Grube gegraben."
So waren sie alle beschäftigt mit sich und ihren Angelegenheiten, mit ihren Kämpfen und ihrem Hoffen, daher hatte auch niemand Zeit, sich Gedanken darüber zu machen, weshalb Monsieur Martelet und der Kapitän, die so siegessroh nach ihrem Belfort gefahren waren, seit ihrer Rückkehr so still, so ganz und gar verändert umhergingen.
Martelet hustete; wenn ihn jemand ansprach, um etwas von dem Fest in Belfort zu erfahren, hielt er sich den Mund mit dein Taschentuch zu und deutete ans den Kapitän an seiner Seite. Der trieb dann mit seiner Grobheit die Leute sehr bald in die Flucht.
„Ah, mein Freund, ich gäbe viel, wenn ich mir in Frankreich nicht diese Erkältung geholt hätte!" rief Monsieur Martelet ans. „Wie viel gescheiter wäre es gewesen, wir hätten diese Belfortfeier aus der Ferne mitgemacht. War es nicht furchtbar komisch, dieses Geschrei um diese kleine Festung d Ich dachte, sie hätten alle das Fieber, aber jeder versicherte mir, er befände sich vollkommen wohl. Hin ja, mein Lieber, man sollte nicht so lange von seiner Heimat entfernt bleiben, man versteht seine eignen Landsleute nicht mehr. Ich habe nicht umsonst fünfundzwanzig Jahre mit diesen Deutschen dieselbe Luft geatmet; Zuletzt glaubt man es selbst, daß der Weltfriede von einer richtig sitzenden Kappe abhängt. Aber, aber, stellen wir uns nicht blind, mein lieber Kapitän, diese Pedanterie, so lächerlich sie uns erscheint, sie allein erzieht den Soldaten; jene peinliche Ordnung, jene strenge Gewissenhaftigkeit, ich habe sie bei uns drüben leider nicht gefunden."
Er seufzte: „Ich versichere Sie, nach alledem, es kommt mich ordentlich schwer an, den Hauptmann aufznsuchen."
„Aber mein Gott, so lassen Sie's doch bleiben!" rief der Kapitän aus.
Monsieur Martelet sah ihn verweisend an.
„Einer solchen Unhöslichkeit werde ich mich niemals schuldig machen."
Dumont traf am nächsten Tage mit dem alten Herrn in dem Nichtrauchereoupe eines Zuges zusammen, der von Kolmar kam. Der Hanptmann befand sich aus einer Dienstreise mit seinem Vorgesetzten, der sich in ein Nanchcoupö begeben hatte; dort saß der ebenfalls rauchende Kapitän; Martelet und Dumont blieben allein.
Der Franzose trug einen Flor um den Hut; er hustete stark und schien sich in seinem dünnen Sommerüberzieher so unbehaglich wie möglich zu fühlen. Es war schönes Wetter gewesen des Morgens, als er abreiste, jetzt peitschte der Regen gegen die Fenster des Conpüs, und es war kalt.