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Iie Wiener Zuöiläums-Ausstellung.
hohem Postament erhebt sich die Büste des Kaisers, umgeben von vier Fürstinnen, die die Entwicklung der Seidenindustrie förderten: eine Kaiserin von China und eine von Japan, denen man die erste Seidenzucht zuschreibt, die Königin Katharina Cornaro von Cypern, die die Seide in Europa einführte, und die jugendliche Kaiserin Maria Theresia, der man in Oesterreich die Pflege der Seidenweberei verdankt. Es sind gelungene Arbeiten des Bildhauers Straßer. In den am Abend glänzend beleuchteten Interieurs haben die Kunstgewerbetreibenden Wiens wahre Musterzimmer geschaffen.
Verlassen wir die Rotunde durch den „Silberhof", der die kostbaren Arbeiten der Juweliere, Gold- und Silberschmiede enthalt, so öffnet sich uns beim Westportal ein überraschender Blick ans die aus mehr als 150 kleineren und größeren Bauten bestehende „Jubiläumsstadt" im frühlingsgrünen Prater. Zwei breite Avenuen, die wir auch auf unserm Panorama, dank den hohen Obelisken, deutlich wahrnehmen können, durchschneiden den Ausstellungspark. An der südlichen Avenue liegen die interessantesten Pavillons, während die nördliche, die „Avenue der Ernährung", Wein- und Bierkosthallen in ungezählter Menge aufweist. Unmittelbar vor der Rotunde, an der hohen Kuppel kenntlich, erhebt sich der von Drexler entworfene und vom Stadtbauamte ausgeführte Pavillon der Stadt Wien mit dem großen Friedlschen Reliesbild: „Vindobona, dem Kaiser huldigend". Der geräumige Festraum ist mit allegorischen Friesen verziert, und in den Sälen sehen wir zahlreiche Bilder und Modelle, die Alt-Wien im Jahre 1848 und das heutige Wien darstellen. Hier sowohl wie im benachbarten Pavillon des Stadterweiterungsfonds, der Donauregulierungskommission und des Hofbaukomitees lassen sich am besten die Veränderungen ermessen, die das Stadtbild in den fünfzig Regierungsjahren des Monarchen erfahren hat.
Durch ein Machtwort des Kaisers fielen einst die Wälle und Basteien, die noch im Jahre 1848 gleich einem eisernen Ringe die innere Stadt umgaben, und an ihrer Stelle erstanden die Monumentalbauten der Ringstraße, die Museen, die neue Hofburg, das Parlament, die Universität, das Rathaus und das Burgtheater. Durch die Schaffung von Groß-Wien im Jahre 1890, die gleichfalls einem Wunsche des Kaisers entsprach, wurden alle Vororte ein- bezogen und Raum für die so lange ersehnte Stadtbahn geschaffen, deren erste Teilstrecke fast zugleich mit der Ausstellung eröffnet wurde. Wer die Entwicklung der Wiener Architektur während dieses halben Jahrhunderts noch genauer studieren will, gehe vom Prater in die Jubiläums- Kunstausstellung, wo inan sämtliche Modelle der von den großen Baukünstlern des modernen Wien geschaffenen Werke findet.
Angenehm überrascht ist jedermann von dem neuen, von der bisherigen Tradition so ganz abweichenden Baustil sämtlicher Pavillons. Es ist mehr als ein Tropfen Sezession mit untergelaufen, doch selbst wer kein blinder Anhänger der neuen Kunstrichtung ist, die jetzt ihr provisorisches Heim in den Sälen der Wiener Gartenbaugesellschaft am Parkring aufgeschlagen hat, muß gelten lassen, das; dieser Ausstellungsbaustil einen wesentlichen Fortschritt bedeutet. Geschmackvolle Formen, dekorative Bemalung in diskreten Farben, mitunter figurales plastisches Beiwerk zeichnen alle diese zierlichen Bauten der Architekten Baumann, Breßler, Drexler, Fabiani, Gotthils Oberländer und andrer aus. Fast jeder Pavillon ist schon an sich eine Sehenswürdigkeit.
Ganz fremdartig mutet uns der im orientalischen Stil gehaltene Regierungsbau Bosniens und der Herzegowina an (Architekt Urban), jener Reichslande, in denen Oesterreich-Ungarn während zweier Decennien ein so gewaltiges Stück Kulturarbeit verrichtet hat. Wir lernen die reichen Naturprodukte dieser Provinzen und ihre junge Haus-
Neber Land und Meer. Jll. Okt.-Hefte XIV. 13.
industrie kennen, durch die die Auslagen der Verwaltung bereits vollständig gedeckt werden. In den als Werkstätten dienenden offenen Bazaren sehen wir die in den Staatsateliers ausgebildeten jungen bosnnchen Kunsthandwerker schöne Intarsien und Jnkrnstierarbeiten ausführen, während bosnische Frauen orientalische Teppiche knüpfen. Die geordneten Zustände ermöglichen es, auch die landschaftlichen Reize Bosniens der Touristenwelt zugänglich zu machen.
Auf der andern Seite der Hauptallee, dem Stadtpavillon gegenüber, erhebt sich der große Ban der österreichischen Wohlsahrtsausstellung, ein Werk mehrjähriger Vorarbeiten und vielleicht der lehrreichste Teil des Ganzen. Im Jahre 1848 zählte Oesterreich noch 43 Prozent der Bevölkerung Analphabeten, welche erschreckend hohe Ziffer sich in Cisleilhanien bis zum Jahre 1896 fast aus die Hälfte, das heißt auf 23 Prozent, ermäßigt hat. Welche Fortschritte nötig waren, um ein solches Ergebnis zu erzielen, lehrt diese Sonderausstellung. Sie zeigt uns den gewaltigen Abstand zwischen einst und jetzt auch in der öffentlichen Gesundheitspflege und führt uns die Zunahme der Anstalten für Wohlthätigkeitszwecke und Krankenpflege, die Entwicklung der wirtschaftlichen und Verkehrsverhattniffe deutlich vor Äugen. Ein besonderes Augenmerk wurde auf die Darstellung aller jener Einrichtungen verwendet, die der Fürsorge für die arbeitenden Volksklassen dienen. Für Aerzte wird die in einer eignen Nebenhalle errichtete „Kinderbrutanstalt" („OouvenssP von Interesse sein. Diese in Wien zum erstenmal gezeigte Einrichtung, die unter der Leitung des bekannten Kinderarztes Or. R. Popper steht, dient zur Erhaltung zu früh oder sehr schwächlich geborener Kinder.
Ganz neu dürfte die Polizei als Aussteller sein. Um diesen Zweig der öffentlichen Wohlfahrt uns sozusagen menschlich näher zu bringen, gewährt die Wiener Polizeidirektion einen Einblick in das Getriebe des ganzen Sicherheitsdienstes der Residenz. Sie beweist an lebensgroßen Modellen den großen Wert der Bertillonschen anthropo- metrischen Messungen von Verbrechern, und in dem angeschlossenen Kriminalmuseum kann man bei Betrachtung der Originalwerkzeuge „berühmter" Mörder und Einbrecher der Gegenwart das Gruseln lernen. Wir wenden uns daher lieber zu den von bekannten Wiener Malern gespendeten „Bildern aus dem Polizeileben", die mit Benks neuer Kaiserbüste und Kassins realistischer Plastik „Sicherheitswachmann als Lebensretter" die andern Räume dieses Pavillons zieren.
Tie Behelfe des Unterrichts, wie Bücher, Landkarten, Photographien, wissenschaftliche und Musikinstrumente, sind im großen Pavillon „Bildung" neben dem mit Flaggen geschmückten Parkeingang untergebracht, und in der am andern Ende des Parkes gelegenen „Jugendhalle" (linke obere Ecke unsers Bildes) werden von den Zöglingen Wiener Schulen Jugendspiele vorgesührt und den Kindern lehrreiche Skioptikonbilder gezeigt.
Den wirkungsvollen Abschluß der Südavenue bildet das vom Architekten Baumann entworfene Urania-Institut mit einem hochstrebenden Mittelbau, der den Theatersaal enthält, und zwei ovalen, einen großen Vorhos umschließenden Arkadenslügeln. Dieses Unternehmen ist der Popularisierung der Naturwissenschaften gewidmet, und falls der Versuch in; Prater gelingt, woran nicht zu zweifeln ist, wird im Zentrum der Stadt bald eine bleibende Urania erstehen. Schon in seiner gegenwärtigen Form ist das Institut größer als sein Berliner Vorbild, das, nebenbei gesagt, eigentlich ein Wiener Kind ist, denn in den achtziger Jahren führte der Gründer der Berliner Urania, Dr. M. Wilhelm Meyer, die ersten astronomischen Theatervorstellungen in Wien aus. Der rührige Schöpfer des Wiener Instituts, Dr. A. Brezina, will im Ausstellungstheater „Das Eisen" nach Zeichnungen des Landschaftsmalers A. Heilmann, „Den Kamps mit
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