Heft 
(1897) 13
Seite
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Ueöer Land und Meer.

Wenn wir nach einem versöhnenden Ton in den herben Klagen des großen italienischen Sängers suchen wollen, finden wir ihn auf einem andern als dem von Heyse ge­wiesenen Wege; es ist die reine und hohe Sittlichkeit, die aus allem spricht, was er geschrieben, die aus fast jedem seiner Verse herausklingende Mahnung an die Menschheit, durch Erhebung zu den Idealen der Freiheit und Schön­heit, wie sie einst in Hellas und Rom geherrscht, das Elend des Daseins zu überwinden.

Keiner dürfte Leopardi in seinem sittlichen Verhalten gerechter gewürdigt haben als Ranieri in den Worten, mit denen er den Bericht über die Sterbestunde seines Freundes schließt:So war das Ende dieses großen Dichters. Er war gerecht, human, hochherzig, von seltener Loyalität, von ungemeinem Stolz. Er verachtete die Menschen, weil er sie überschätzt hatte. Er hat zweimal geliebt, wie man nur in Italien liebt, und starb jungfräulich."

Die Geschichte M» klemm Arlecchino.

Aenr Andenken Aincorno Leopnvöis

(geb. 29. Juni 1798).

Von

Alexandre Nlar.*)

'^^Aeulich abends faß ich mit einigen Freunden noch auf meinem Zimmer. Wir hatten (A) gemeinschaftlich ein Drama gelesen, das einer von uns geschrieben hatte, und unterhielten uns nun darüber, welches wohl die tragischsten Fi­guren feien, die im Leben thatsächlich Vorkommen, und die man dramatisch verwerten kann. Mein Freund B., der wie gewöhnlich bei solchen Dis­kussionen wartete, bis alle andern geredet hatten, um dann mit ein paar Worten die ganze Frage in ein neues Licht Zu rücken er ist nämlich ein ganz ausgezeichneter Beobachter, wies schließlich darauf hin, daß wir über die verwickeltsten und geistigsten tragischen Konflikte den einfachsten und tragischsten vergessen hätten. Der tragischste Mensch ist nämlich der, der, obwohl geistig hoch beanlagt, an dem Bewußtsein seiner eignen körperlichen Häß­lichkeit zu Grunde geht. Als sich ein allgemeiner Widerspruch gegen dieVerhimmelung einer so in­ferioren Tragik" erhob, die sich auf körperliche Eigen­schaften gründete, erzählte er,weil wir wahrscheinlich wieder einmal nicht verstanden hätten, was er meine", die folgende kleine Geschichte aus Italien, für deren Richtigkeit er sich verbürgte.

Ä-

Jn einer ganz kleinen Stadt in der Nähe von Modena wohnte ein eigentümlicher junger Mensch, der von der Bevölkerung zuerst scheu gemieden.

Der Autor, den wir hiermit unfern Lesern vorführen, ist ein Unikum iu der deutschen Litteratur. Franzose von Geburt und auch in Frankreich wohnend, hat er sich mit unsrer Muttersprache so ver­traut gemacht, daß seine Schreibweise in keinem Punkte den Ausländer verrät, ja mancher deutsche Schriftsteller könnte ihn um seine vornehme, leicht fließende Sprache beneiden. Dem Andenken Leopardis widmete Alexandre Ular seine Erzählung, weil der große italienische Dichter an ähnlichen körperlichen Gebrechen litt, wie sie dem Helden der Dichtung anhasten. Die Redaktion.

später aber als gleichsam offizielle komische Figur betrachtet und belacht wurde.

Kein Mensch in der Stadt wußte, wer und was er eigentlich war; sein richtiger Name war unaus­sprechlich. Er war plötzlich da gewesen, hatte sich zwei Zimmer gemietet und lebte nun ganz einsam und Zurückgezogen. Die alte Frau, bei der er wohnte, behauptete, er hätte eine Menge Bücher und säße den ganzen Tag und läse und schriebe.

Auch eine ganz komische Geschichte wußte sie von ihm zu erzählen. Als er nämlich bei ihr eingezogen war und den schönen großen Spiegel im Schlaf­zimmer gesehen hatte, war er aus einmal furchtbar wütend geworden, hatte die Waschschüssel ergriffen und damit den Spiegel Zerschmettert, so daß die Scherben in der ganzen Stube umherflogen. Aber was schadete das? Er hatte ihr natürlich sofort den Spiegel und die Waschschüssel bezahlt wobei sie noch ein ganz gutes Geschäft machte und nur ein für allemal verlangt, daß kein Spiegel mehr in seine Wohnung käme.

Jedesmal, wenn diese Geschichte in der Stadt wieder erzählt wurde, erhob sich, besonders unter den jungen Mädchen, ein Gekicher. Es war ja auch ganz verständlich, weshalb er keine Spiegel leiden konnte. Er war nämlich entsetzlich häßlich.

Er war von ganz kleinem, schmächtigem Wuchs, trug aber auf dem Rücken einen kolossalen Buckel, der seine Brust durch die Last ganz zusammen­zupressen und überhaupt jedes aufrechte Gehen un­möglich zu machen schien; denn es war undenkbar, daß diese langen, dürren Beine, die, wie die Kinder behaupteten, bei jedem Schritt klapperten, als wenn sie von Holz wären, einen solchen Rumps tragen könnten. Seine Arme waren ebenso fürchterlich wie seine Beine und reichten fast bis zu den Knieen hinab, wodurch seine ganze Figur etwas Affenähnliches bekam.

Von einem Hals war keine Spur Zu entdecken; der riesige Kopf saß vielmehr unmittelbar Zwischen den Schultern. Der war beinahe das Sonderbarste au der ganzen Gestalt. Er war nämlich oben ganz breit und unten ganz schmal, so daß es aussah, als sei ein Keil von oben zwischen die Schultern getrieben. Diese Vorstellung wurde vielleicht noch dadurch verstärkt, daß das Gesicht wie von Schmerz ganz verzerrt und vollständig schief war. Zwar stand die kolossale schmale Habichtsnase genau in der Mitte; aber das machte das Ganze nur noch schlimmer, denn jetzt war das Gesicht in zwei ganz verschiedene Hälften eingeteilt. Der Mund saß viel zu weit links, und die Stirn schien von links nach rechts schräg nach oben zu gehen, was sich um so eigentümlicher machte, als sie ganz ungewöhnlich hoch und gewölbt war.

Daß ein stachliges Gewirr struppiger Haare und eine Unzahl zum Teil sehr scharfer Falten den An­blick nicht liebenswürdiger machten, ist wohl klar. Höchstens hätten das die großen, dunkeln Augen thun können; aber die waren eigentlich das Unheim­lichste an dem Menschen; manchmal sahen sie recht traurig aus, manchmal wieder sehr wild, und oft