Ale Geschichte vom kleinen Arlecchino.
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schossen auch zügellose Blicke hervor, die, wären sie von einer andern Gestalt ausgegangen, jedem Mädchen Herzklopfen gemacht hätten.
Aber so, wie er aussah, war das natürlich unmöglich. Denn er konnte thun, was er wollte, er mochte gehen, sitzen, stehen, liegen, sprechen, schweigen, traurig, wütend, resigniert, begeistert sein: lachen mußte man auf jeden Fall, das ging gar nicht anders. Jede seiner Bewegungen und Stimmungen mußte ja komisch wirken. Wenn er ging, sah er aus wie ein hin und her schwingendes Pendel, das auf dem Kops steht. Wenn er ruhig stand, konnte man ihn von weitem — vorausgesetzt, daß die Arme schlaff herabhingen, was fast immer der Fall war — für eine kolossale Kropftaube halten; dann verwechselte man eben Brust und Rücken.
Und daß alle seine Seelenregungen, die sich wunderbar sein und empfindlich auf seinem Gesicht spiegelten, den allerlächerlichsten Eindruck machen mußten, ist klar, denn in einem so fürchterlich verbogenen, unregelmäßigen Spiegel müssen die herrlichsten Dinge entsetzlich verzerrt erscheinen: das weiß jeder, der einmal im Lachkabinett gewesen ist und sich über die ekelhaften Verzerrungen seiner eignen Gestalt — und noch mehr der seiner Bekannten — halb totgelacht hat. Ich möchte aber wohl wissen, ob sie auch dann noch lachen würden, wenn eine solche Verzerrung einmal an ihnen haften bliebe . .. Jedenfalls lachten die Einwohner der kleinen Stadt, in der diese Geschichte spielt.
Sprechen hören hatte ihn außer seiner Hauswirtin noch niemand, obgleich er schon zwei Monate da war. Und die erzählte, er hätte eine so wunderschöne, sanfte Sprache, daß man beinahe weinen müßte, wenn man ihn anhörte — und sich die Augen dabei zuhielte.
Man hätte gern einmal gewußt, was er eigentlich für ein Mensch war, besonders die jungen Leute; und so suchten sie aus alle Weise etwas über ihn in Erfahrung Zu bringen.
Bald gelang ihnen das auch. Eines Nachmittags nämlich, als er durch die Straßen ging, um ein kleines Paket zur Post zu bringen, guckte ihm ein Stück beschriebenes Papier aus der Rocktasche. Einem kleinen Bengel, der wegen seiner Frechheit bekannt war, gelang es, das Papier aus der Tasche zu stehlen, das er dann seinen großen Geschwistern gab. Eigentlich freuten sich auch die Erwachsenen, daß ihre Neugier einmal befriedigt wurde: das Papier war nämlich voll beschrieben und zwar ohne Zweifel von ihm selber.
Oben drüber stand: „Am 15. September", also vor einer Woche geschrieben. Dann ging es so an:
„Ist es ein Fatum, daß der Mensch stets das für das Ersehnenswerteste hält, was ihm für immer verschlossen ist? Daß er das am meisten liebt und bewundert, was ihm am vollständigsten fehlt? Oder bin ich auch hierin ein Ausgestoßener, wie ich es körperlich bin?
„Oh! Wann endlich wird die entsetzliche Flucht vor der Welt und meiner eignen Häßlichkeit aufhören? Wann endlich werde ich lernen, mich mit
I den Schätzen zufrieden zu geben, die ich habe, und meine elenden, nichtssagenden Fehler vergessen? — Bin denn nur ich so unnachsichtig gegen mich selbst? Alle andern vergessen ihre Gebrechen und rühmen sich ihrer Schönheiten — und ich mache es umgekehrt. Warum nur? Warum?
„Und — hat mir meine Flucht etwas genützt? O, diese fürchterlichen Zwei Jahre der Jagd, aus einem Nichts ins andre! Und dazwischen immer wieder das Auftauchen dieser scheußlichen körperlichen Wirklichkeit, die mich fort und fort Zurücktreibt in mein Elend, das Elend eines Menschen, der seine Schätze vergeudet, um mit seinen Mängeln zu siegen! Ist denn noch nicht genug Ironie in der Welt?...
„Askese.. . Askese... Todschlag des Körperlichen ... ein wundervoller Vorsatz! Nur weiß ich jetzt, daß Askese und Heranzüchtung zügelloser Begierden dasselbe sind. Und warum kann ich nicht lieben — wirklich körperlich lieben? Oh, aber das kann ich ja! Nur nicht geliebt werden... Ja, die .große, schöne Seele', die ich habe, ersetzt mir die den süßen Körper, den ich haben möchte? — Wie wäre es mit einer Studie: .Thersites als Don Juan, Versuch einer Selbstvivisektion eines aus körperlichem Defekt Verrücktwerdenden'?
„Ich glaube, man ist schließlich sogar zu feige, sich zu verabschieden — weil man noch gern genießen möchte, was man nicht kann. Ich denke zum Beispiel an einen, der nicht vor Hunger sterben kann, weil er zuvor noch einen .Faust' schreiben möchte — aber überhaupt nicht schreiben kann. Mit mir ist es gerade so: Ich kann nicht schön sein und möchte den .Triumph des Körpers' feiern, denn was ist Liebe anders? Und eher kann ich nicht sterben..."
So recht verstehen konnten die guten Leute dies Tagebuchblatt nicht. Aber eines lasen sie doch heraus: er war verliebt. Das war zum Totlachen! Jetzt wußten sie es! Sie waren ganz stolz auf ihre neue Erkenntnis. Am nächsten Tage wußte es die ganze Stadt; jeder flüsterte es dem andern zu: „Er ist verliebt." Eine Bande frecher Schuljungen rief ihm sogar einmal auf der Straße nach: „Da geht er, er ist verliebt!" woraus er in solche Wut geriet, daß alle Leute, die ihn sahen, vor Lachen schrieen.
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Jetzt war schon seit drei Wochen das Asatro elassioo" im Städtchen und hatte kolossalen Erfolg; allerdings, sehr klassisch waren die Ausführungen nicht, und man wunderte sich einigermaßen, daß „Er" jeden Abend in die Vorstellung ging; denn er selbst war doch eigentlich noch viel komischer als die Aufführungen. Lachen that er nie im Theater, wenn sich auch das übrige Publikum ganz unsinnig gebärdete.
Der Arlecchino war zu komisch! Ein endlos langer, dürrer Kerl, der hauptsächlich dadurch wirkte — ganz unbeabsichtigt natürlich —, daß er nie wußte, wohin er mit seinen Gliedmaßen sollte. Wenn er auf ebenem Boden ging, trat er sich auf die Füße, stieg er eine Treppe hinauf, so trat er sich aus die Hände. Das einzige Dicke, das an dem ganzen