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Melier Land und Meer.
Menschen war, das war seine rote Nase — er trank nämlich sehr viel —, und das einzige Bemitleidenswerte, das er hatte, war eigentlich sein Publikum. Daß der Arlecchino ganz abgeschmackt war, sagte bald die ganze Stadt, nachdem es der Maestro Poccini gesagt hatte, der jetzt zum Tanz aufspielte, aber einmal vier Wochen im Orchester der Oper in Mailand gewesen war.
Einen förmlichen Haß hatte ein Teil der Stadt — der weibliche — auf die kleine „Liebhaberin" des Theaters. Diese Liebhaberin war nämlich ein ganz süßes Geschöpf; sie hieß Lala und war sechzehn Jahre alt, ganz klein und Zierlich, mit entzückenden kleinen Füßen, einem ganz zerbrechlichen Hals, großen, immer verwunderten Kinderaugen und schwarzen Haaren. Da sie fast immer lachen mußte — jeder strengte sich an, ihr die besten Witze vorzumachen —, so sah man gewöhnlich auch noch die reizenden, blitzenden, scharfen Zähnchen. Sie war eigentlich immer vergnügt; nur ganz selten saß sie da, legte die Hände in den Schoß und träumte von traurigen Sachen — vielleicht von dem frühen Tod ihrer Eltern und ihrer Einsamkeit unter lauter fremden Menschen, über die ihr der lustige Beruf doch nicht ganz hinweghalf.
Lala war so nett, daß sie bald in vielen Familien der Stadt verkehrte, ganz besonders, nachdem man vom Direktor ihre traurigen Schicksale vernommen hatte und wußte, daß sie trotz der vielen Versuchungen ein durchaus anständiges Mädchen war.
Da war denn auch manchmal die Rede von „Ihm" — seinen Namen konnte ja kein Mensch anssprechen —, und sie lachte dann mit den andern zusammen über den komischen Kauz, der jeden Abend ins Theater kam und nie applaudierte, und dann wieder ganze Nächte hindurch schrieb: das wußte Lala, denn sie wohnte auf der andern Seite der Straße und konnte ihm des Abends, wenn sie zu Bett ging, ins Zimmer sehen, weil er dann eine wunderschöne Lampe hatte, wie es in der ganzen Stadt keine gab, eine Lampe, deren Fuß ein nacktes Mädchen war, ja, ganz gewiß, sie hatte es deutlich gesehen; und diese Lampe brannte manchmal die ganze Nacht; das hatte sie oft gesehen, wenn sie aufwachte. Uebrigens furchtbar komisch war er; sie mußte wenigstens immer lachen, wenn sie ihn sah. Der sollte Arlecchino werden! Der andre roch immer so nach Schnaps.
O ja, das wäre was gewesen! Der sollte Arlecchino werden; da würden alle noch einmal so gern ins Theater gehen. Er war ein ganz eigentümlicher Mensch! Ganze Nächte lang schrieb er. Und sein Lampenfuß war ein nacktes Mädchen! Verliebt war er ja auch! Was für interessante Sachen doch Vorkommen! Da lohnt es sich doch noch, zu leben.
„Jhn" bekam man, außer im Theater, jetzt fast gar nicht mehr zu sehen. Er ging nur noch aus, wenn es schon dunkel war. Irgend etwas schien sich in ihm geändert zu haben. Er ging jetzt immer so langsam und noch viel mehr schwankend als früher,
als ob er müde wäre oder fortwährend an irgend etwas dächte, das er gar nicht los werden könnte. Im Theater konnte man manchmal sehen — das Publikum sah ihn fast ebensoviel an wie die Schauspieler aus der Bühne —, daß er abwechselnd rot und blaß wurde und schwer atmete und zitterte; und dann richteten sich seine Augen mit einem so flehenden und dabei doch so glühenden Ausdruck auf die Bühne — wo Lala ja fortwährend Zu thun hatte —, daß alle, die es sahen, die allergrößte Blühe hatten, ihr Lachen Zu verbeißen. War das amüsant im Theater!
Eines schönen Morgens fand man den langen, immer nach Schnaps riechenden Arlecchino tot im Bett. Der Arzt sagte, er wäre am Herzschlag gestorben. Allzuviel war ja nicht an ihm verloren, aber einen neuen Arlecchino mußte der Direktor doch engagieren. Die Vorstellungen fielen — aus Trauer — drei Tage aus.
Am Nachmittag nach dem Tode des alten Arlecchino trat schon wieder ein stadtbewegendes Ereignis ein: „Er" war verrückt geworden. Wenigstens behauptete seine Wirtin das. Sie sagte, er wäre die letzte Zeit schon immer so sonderbar gewesen. Manchmal hätte er laut geweint und mit den Füßen ge- strampft und dann wieder geflucht und mit schweren Büchern im Zimmer umhergeworfen; zu Bett wäre er manchmal drei Tage lang nicht gegangen, statt dessen hätte er die ganzen Nächte geschrieben und des Morgens ganz früh schon kleine Pakete — sie glaubte, es sei Papier darin — zur Post geschickt. Einmal wäre ihr ganz bange geworden: da hätte er Zwei Tage und zwei Nächte hintereinander eine Unmasse Papier vollgeschrieben, dann sich ein paar Stunden schluchzend auf dem Bett herumgewälzt und schließlich gräßlich gelacht und einen ganzen Haufen vollgeschriebenen Papiers verbrannt.
Jetzt mußte es aber sehr schlimm mit ihm geworden sein: er hatte sich einen großen Spiegel besorgen lassen, in dem man sich ganz sehen kann, und lachte und sprang davor herum und redete und sang das dümmste Zeug uud gestikulierte, wie sie es bei einem solchen Körper nie für möglich gehalten hatte. Sie hätte einen entsetzlichen Schreck gekriegt; aber es wäre doch so furchtbar komisch gewesen, daß sie vor Lachen gar nicht hätte wegkommen können. Und er hatte sie auch gefragt, ob es ihr gefiele.
Aber es passierten immer noch sonderbarere Dinge. Der Theaterdirektor kündigte an, daß er keine Vorstellungen mehr geben, sondern nach einer andern Stadt weiterziehen würde. Warum er das that, sagte er nicht einmal seinen Schauspielern, ja, nicht einmal Lala. Der sagte er nur, es komme vou dem neuen Arlecchino; das sei der wundervollste Arlecchino, den es gebe, und mit dem zusammen werde sie noch viel reizender spielen können als bisher.
So zog denn das ganze Theater nach der andern Stadt, aber — Lala verstand das gar nicht — ein neuer Arlecchino ließ sich nicht blicken.