Heft 
(1897) 13
Seite
388
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burger in ihm einen Revisor vermuten. Schnell tranken beide den Nachmittagskaffee; dann setzten sie sich in eine Droschke und fuhren nach dem Bahnhof.

Die Sonne stand schon tief, als sie in Wischnitz ausstiegen und sich aus den Weg nach dein Land­städtchen machten. Es war ein prächtiger Herbsttag, klare Luft, stahlblauer Himmel, hier und da mit Hellen flockenartigen Wolken bedeckt, die am Horizont in gelblicher Farbe schimmerten. Emma ergriff den Arm des Vaters und drückte ihn zärtlich.

Wie danke ich dir," sagte sie freudig,daß du mich mitgenommen hast! Mir ist Zu Mute, als hätte mir jemand etwas sehr Schönes geschenkt."

IhrMädchen immer mit eurem Schenken," sagte der Alte unwillig,das nimmt gar kein Ende; alles dreht sich bei euch ums Schenken. Den Schenker holt der Henker, und beschenkt ist verrenkt. Verdienen ist besser als beschenkt werden."

Ach, es giebt doch so viele Dinge," entgegnete sie seufzend,die man sich nicht verdienen kann, und die einem nur geschenkt werden. Die Mutter meint auch, sie hätte dich gar nicht verdient; sie betrachte dich wie ein Geschenk des Himmels."

Das sind Dummheiten, mein liebes Kind," sagte der Herr Rat, indem er sich den kurzgeschnittenen grauen Vollbart rieb.

Euch hat doch der reine Zufall znsammengeführt," fuhr sie nach einer Weile fort.Wenn Mama nicht in der Königsstraße aus ein Stück Apfelsinenschale getreten, ausgeglitten und in deine Arme gefallen wäre, so hättet ihr euch gewiß nie kennen gelernt."

Der Herr Rat blieb stehen, hob den Zeigefinger in die Höhe und sagte, während er sie ernsthaft ansah:Also, liebes Kind, sieh dich vor den Apfel­sinenschalen vor; es ist schon manche drauf getreten und ausgeglitten, ist aber nicht aufgefangen worden."

Ja, es giebt unhöfliche Menschen genug. Ich glaube, Herr Rat Rommel gehört auch zu ihnen; sonst wäre er nicht Junggeselle geblieben."

Sie schritten munter vorwärts. Sieh das einsame Gehöft da wie schön, wie malerisch!" rief Emma an einer Stelle des Weges.

Sie wies mit der Hand auf ein Bauernhaus, das rechts von der Chaussee lag, von Bäumen und Sträuchern umgeben.

Das möchte ich skizzieren, ganz schnell; setz dich, bitte, so lang auf die Deichsel der Chausseewalze, lieber Papa. Ich bin in ein paar Minuten fertig."

Sie standen an dem Kreuzungspunkte zweier Wege. Links lag ein Wäldchen, aus dem der Weg nach dem Gehöft führte. Der Alte setzte sich gern auf die Deichsel, denn sie waren schon eine ziemlich große Strecke gewandert; auch war ihm in Bezug auf die Revision manches eingefallen, was er sich noch notieren wollte. Mittlerweile war die Sonne untergegangen, und leichte Dämmerungsschatten breiteten sich über das Gelände. So saß denn der Herr Rat eifrig schreibend da, während Emma mit ihrem Skizzenbuch mitten auf der Chaussee stand und die kleine Idylle zu zeichnen versuchte.

Plötzlich hörten sie vom Walde her Wagen­gerassel, Peitschengeknall und lautes Rufen, und noch

ehe sie sich dessen versahen, sprengte ein Reiter, ein dicker Mensch mit aufgedunsenem, von Schmissen durchkreuztem Gesicht, auf die Chaussee und brüllte mit mächtiger Bierstimme:Platz, Platz dem Land­vogt!" Und hinter ihm her kam ein Wagen gejagt mit einer Zickzackrichtnng, als seien Pferde und Kutscher betrunken.

Emma hatte gerade noch Zeit, in den Chaussee­graben zu springen.

Netter Käfer das!" schrie der Reiter. Und der Herr im Wagen beugte sich vor und winkte ihr huldvoll zu. Es kamen noch zwei Wagen hinterher gefahren, in denen singende, augenscheinlich sehr an­geheiterte Herren saßen. Auch sie nahmen mit Be­hagen Notiz von dem jungen Mädchen, das in den nassen Graben gesprungen war und mit Entsetzen fühlte, wie ihr das Wasser in die Schuhe drang. Endlich war die mächtige Staubwolke verflogen; Emma wagte sich wieder hervor und eilte ans die andre Seite der Chaussee, wo der alte Herr hinter der Chausseewalze Posto gefaßt hatte. Bei jedem Schritte hörte sie es in ihren Schuhen quietschen.

Der Alte bebte vor Wut.Das sind hier ja nette Zustände! Wenn man nur wüßte, wer die Kerle gewesen sind! Denen müßte man sofort den Gendarm auf den Hals schicken. Da hört doch die Gemütlichkeit auf!"

Emma sprach kein Wort; sie setzte sich ruhig ans den Grabenrand, holte aus ihrem Täschchen ein Paar trockene Strümpfe hervor, wechselte die mit den nassen und wollte weiter zeichnen.

Aber mit dem Humor des Alten war es nun zu Ende.Ich habe keine Lust," rief er,mich hier über den Haufen rennen Zu lasseu. Laß jetzt die Allotria und komm weiter."

Emma steckte ihr Skizzenbuch ein, und beide wanderten mit beschleunigten Schritten vorwärts, bis sie bei einer Biegung der Chaussee das Städtchen vor sich liegen sahen.

Noch ehe es dunkel war, kamen sie dort an, erkundigten sich nach einem Gasthause und wurden in das HotelZur fröhlichen Wiederkunft" ge­wiesen, als das einzige, wo anständige Leute über­nachten könnten.

Der Wirt begrüßte sie höflich, aber doch mit einem Gesichtsausdruck, als wollte er sagen: Ihr Fremdlinge kommt nicht einmal zu Wagen!Haben die Herrschaften keine Bagage?" fragte er etwas verwundert.

Wir sind Touristen," antwortete der Herr Rat, und gedenken morgen wieder weiterzuziehen."

So, so," flötete der Wirt.Ja, Rasselburg ist in diesen Tagen viel von Touristen besucht worden es scheint etwas in Mode zu kommen. Der Blick vom Galgenberg über den Judenkirchhof ist einzig in seiner Art das müssen Sie sehen. August, führen Sie die Herrschaften auf Zimmer vier und fünf die liegen nach hinten; es ist Ihnen doch gleich, ob nach hinten oder nach vorn?"

Ganz gleich, natürlich wenn wir uns nur mal die Hände waschen können," sagte der Rat mit einem gewissen Humor.