Heft 
(1897) 13
Seite
387
Einzelbild herunterladen

Die Kevisionsreise.

387

nach Behagen umherstreifen. Sie wollte sehr fleißig sein und alles skizzieren, was irgendwie hierfür geeignet sein würde. So ordnete sie denn ihre Habseligkeiten und packte sie in das Täschchen.

Währenddes hatte der Rat das versiegelte Paket geöffnet und die einzelnen Stücke herausgenommen. Es waren die Personalakten des Amtsrichters Stieben- bach in Raffelburg. Mit einem Gefühl von Un­willen und Spannung begann der Rat das Material zu studieren. Die Revisionsberichte des Kollegen Rommel waren geradezu glänzend. Er lobte Stieben- bachs amtliches Verhalten als Einzelrichter, pries seinen Eifer und seine Fähigkeiten und hob besonders hervor, daß Stiebenbach auch in anßeramtlicher Beziehung geradezu das Muster eines Einzelrichters sei.

In seltsamem Widerspruch dazu standen mehrere Beschwerden, die dem Präsidenten zugegaugen waren. Aber auch hier hatte Rommel eine kräftige Lanze für den Amtsrichter eingelegt und in den Rand­bemerkungen die Angriffe energisch Zurückgewiesen. An der unglaublichen Verschleppung eines Prozesses sei Stiebenbach völlig schuldlos gewesen. Rommel wies nach, daß das Aergernis durch die Lässigkeit des stellvertretenden Assessors entstanden sei. Als der Amtsrichter von einer Landwehrübung zurück- gekehrt sei, habe er diese Akten in demselben Zustande gefunden wie bei seiner Abreise, nur mit dem infamen Vermerk des Assessors:Ueproäueatur bei der Rück­kehr des Herrn Amtsrichters."

Zn der Notiz des Präsidenten, daß der Amts­richter seine Landwehrübungen, zu denen er schon zehnmal beurlaubt worden sei, nachgerade einstellen könnte, hatte der Rat Rommel bemerkt: er könne nur im Interesse des Dienstes empfehlen, daß sich die Herren so oft wie möglich einziehen ließen. Das militärische Leben wirke auf jeden wie ein Bad der Wiedergeburt; es wirke belebend und erfrischend auf den Geist und die Haltung der Beamten; selbst der eifrigste und begabteste Mensch verkümmere im Akten­staub. Man sollte der Militärverwaltung Dank wissen, daß sie auch hier der Hecht im Karpfenteiche sei.

Zu einer Beschwerde der Schöffen über unwürdige Behandlung hatte Rommel mit Bleistift die Rand­bemerkung gefügt:Die Schöffen in Rasselburg sind schwer zu behandelnde Menschen. Der Amtsrichter, dem dabei nicht mal die Geduld reißt, ist keinen Schuß Pulver wert. Man sollte den Stiebenbach nicht so viele Jahre in dem Neste sitzen lassen; selbst mädchenhafte Naturen können in dem kleinstädtischen Milieu wild werden. Stiebenbach hockt jetzt fünf Jahre in Rasselburg; hier gehören ruhige Aktenseelen hin, aber keine triebkrästigen Geister. Wenn Stieben­bach dabei den Flachlandskoller kriegt, so ist das kein Wunder; er gehört in die Großstadt."

Zu einer Anfrage, ob es ratsam sei, dem Amts­richter Stiebenbach die Ausbildung eines Referendars anzuvertrauen, hatte Rommel geschrieben:Ich kann, wenn ich mir die Sache überlege, eigentlich nicht recht dazu raten; aber versuchen kann man es ja."

Hinter den Personalpapieren des Amtsrichters folgten noch einige Beschwerden über den Gerichts­schreiber Mackedanz und den Gerichtsdiener Pollack,

die sich aber nur grobe Behandlung der Zeugen hatten zu schulden kommen lassen. Auch hier hatte Rommel nur an den Rand geschrieben:lloul eom- xrenärk y'est Wut xaräouuer; die Rasselburger Autochthonen sind eine besondere Species, und die Bauern der umliegenden Dörfer leben noch in mittel­alterlicher Dumpfheit."

In dem Aktenbündel lagen noch einige Zettel, die offenbar aus Versehen hineingeraten waren: Notizen über Jagdergebnisse, Wein- und Speisekarten, Postverbindungen und ähnliche Dinge. Auch ein Brief aus Rasselburg an den Rat Rommel siel dem Leser in die Hände. Der Brief stammte von dem Wirte desGasthauses zur fröhlichen Wiederkunft" und lautete:Hochzuverehrender Herr Gerichtsrat, hochwohlgeborener Herr! Euer Hochwohlgeboren

wohlwollende Gesinnung, die Sie mir jedesmal bei Ihrer Anwesenheit in Rasselburg haben zu teil werden lassen, ermutigt mich, Euer Hochwohlgeboren die ganz gehorsame Bitte Zu unterbreiten, mir gütigst mit­zuteilen, wann Sie wieder in unser Städtchen zu kommen gedenken. Sie werden mir diese Frage nicht als bloße Neugier auslegen, da Euer Hochwohlgeboren wissen, wie schwierig es ist, in unserm abgelegenen Orte ohne Vorbereitung ein einigermaßen acceptables Menü zusammenzustellen. Und da ich eine Ehre

darin suche, daß Euer Hochwohlgeboren sich stets befriedigt fühlen, so wäre es mir außerordentlich an­genehm, wenn ich einige Tage vorher von Ihrem Eintreffen eine kleine Notiz erhalten könnte. Die Hasenjagd hat begonnen. In der nächsten Woche kann ich delikate Schnepfen liefern; der Schnepfenzug soll gut sein; auch Forellen sind mir für nächste Woche angekündigt. Vielleicht gelingt es mir noch, Wildschwein auszutreiben. Der Honoratiorentisch

läßt sich Euer Hochwohlgeboren angelegentlichst em­pfehlen. In ehrfurchtsvoller Ergebenheit Ihr ge­horsamer Andreas Singstock, Hotel zur fröhlichen Wiederkunft."

Der Gerichtsrat Frege zog die Augenbrauen in die Höhe und stieß einen leisen Pfiff aus.

Da haben wir den Kausalnexus," sagte er, vor sich hinlachend.Das sieht dem lieben Kollegen Rommel ganz ähnlich; es ist eben alles Menü bei ihm. Der Andreas Singstock ist ein geriebener Bursche; er kennt seine Leute und versteht sein Ge­schäft. Der Stiebenbach müßte ein Narr sein, wenn unter solchen Umständen das Amtsgericht nicht jede Revision glänzend bestünde. Wir wollen einmal sehen, wie die Sache verläuft ohne das Menü mit Schnepfen, Forellen und Wildschwein."

Er stand schnell auf, band die Akten zusammen und schloß sie in den Schrank. Dam: griff er nach dem Kursbuch. In einer Stunde ging ein Zug nach der Station Wischnitz bei Rasselburg. Es kam etwas wie ein teuflisches Vergnügen über ihn, und während er noch kurz vorher zaghaft gewesen war, erfüllte ihn jetzt das stolze Gefühl des Gerechten. Niemand durste etwas von seiner Reise nach Rassel­burg erfahren, und so legte er seiner Frau strengstes Schweigen auf. Daß Emma mit ihm fuhr, war ihm ganz lieb; um so weniger würden die Rassel-